Die Vorträge des Lübecker Studium Generale im Wintersemester 2005/06 behandeln das Thema "Mensch und Maschine".20.10.2005: Künstliche Intelligenz - Was ist das eigentlich heute? (Prof. Dr. Thomas Christaller, Sankt Augustin)
Dreh- und Angelpunkt der Hauptströmung der "Künstlichen Intelligenz (KI)"-Forschung ist die so genannte Physical Symbol System Hypothesis von Newell und Simon. Sie ist zu sehen in der langen Tradition der mathematischen Logik, in der einerseits der Wahrheitsbegriff als auch die Beschreibung von Weltausschnitten mithilfe logischer Formeln die wichtigsten Elemente darstellen. Doch wird in dem Paradigma die folgende Frage unbeantwortet gelassen: Was ist eigentlich natürliche Intelligenz? Mit aller Vorsicht, die ein Nicht-Humanwissenschaftler walten lassen sollte, können die meisten empirischen Befunde und Modelle der Verhaltensbiologie und Hirnforschung so interpretiert werden, dass der symbol- und logikorientierte Ansatz in wesentlichen Aspekten zu kurz greift, um das Phänomen "Intelligenz" zu erklären. Die Haupthypothese des Vortrages lautet, dass Intelligenz Lebewesen dazu befähigt, Zukunftsvorhersagen zu machen, und zwar insbesondere für die möglichen Verhaltensmuster / Handlungsmöglichkeiten ihrer Artgenossen. Die Notwendigkeit, mithilfe von Probehandeln die eigenen Verhaltensmöglichkeiten auszuloten, ohne dies in sichtbare Handlungen umsetzen zu müssen, ist die Wurzel der Intelligenz bei Lebewesen. Werden diese Erkenntnisse der Biologie als Grundlage genommen, um künstlich intelligente Systeme zu konstruieren, so muss ein anderer, neuer Weg in der KI gefunden werden. Dieser Weg wird unter methodologischer Sicht skizziert. Dabei wird einerseits die mathematische Theorie der Dynamischen Systeme eine zentrale Rolle spielen und andererseits die Konstruktion von Robotern. Anhand verschiedener Beispiele wird der heutige Stand der Technik dargestellt, welche Anwendungsgebiete sich dadurch eröffnen und wie das Forschungsprogramm der "Neuen KI-Forschung" aussehen kann.
Professor Dr. Thomas Christaller ist Institutsleiter am Fraunhofer-Institut Autonome Intelligente Systeme in Sankt Augustin.
17.11.2005: Maschinen mit Gefühl (Prof. Dr. Dietrich Dörner, Bamberg)
Dass man kognitive Prozesse auch mit Maschinen nachahmen kann, ist lange bekannt, sogar länger als es Computer gibt. Blaise Pascal hat im 17 Jh. mit der Konstruktion einer der ersten mechanischen Rechenmaschinen nachgewiesen, dass das logische Schließen (beim Rechnen handelt es sich ja um nichts anderes) maschinell machbar ist. Der selbe Blaise Pascal meinte aber "Das Herz hat seine Gründe, von denen die Vernunft nichts weiß!". Also gehorchen die Gefühle nicht den Vernunftsgesetzen. Gehorchen sie überhaupt irgendwelchen Gesetzen? Stellt man nicht gewöhnlich Gefühle als das "ganz andere" dar? Etwas, was sich der Berechnung entzieht. Sind Gefühle nicht grundsätzlich irrational, also mit rationalen Maschinen nicht nachahmbar? Roger Penrose meinte: "Ist es denn nicht 'offensichtlich', daß bloßes Berechnen weder Lust noch Schmerz hervorrufen kann; daß es weder Poesie wahrzunehmen vermag, noch die Schönheit oder den Zauber von Klängen; daß es nicht hoffen, lieben oder verzweifeln kann; daß es nicht imstande ist, einen echten autonomen Zweck zu verfolgen?" Natürlich wäre es fatal für die Psychologie, wenn sich Gefühle der Berechenbarkeit entzögen, denn das würde ja heißen, dass man darüber keine Theorien aufstellen kann. In der Tat kann man Gefühle berechnen, also auch Maschinen bauen, die Gefühle haben. Dies ist nicht nur eine theoretische Erwägung; wir können zeigen, dass Maschinen Gefühle haben, dass sie aggressiv und traurig werden können, dass sie furchtsam sein können und wagemutig, dass sie Freunde haben können und Feinde. Im Vortrag wird dies theoretisch begründet und an entsprechenden Computersimulationen auch demonstriert. Die Berechnung von Gefühlen basiert auf zwei menschlichen Bedürfnissen, nämlich auf dem Bedürfnis nach Bewältigbarkeit (Macht, Kompetenz) und auf dem Bedürfnis nach Bestimmtheit (Voraussagbarkeit). Man kann zeigen, dass die Variation des Kompetenz- und des Bestimmtheitsempfindens hinreicht, um Regulationen hervorzurufen, die wir wohl Gefühle nennen müssen. Gefühle bestehen darin, dass bestimmte Handlungstendenzen (natürlich "Flucht" und "Aggression") und zugleich bestimmte Parameter für kognitive Prozesse (z. B. "Auflösungsgrad", Arousal) gesetzt werden. "Ärger" z.B. ist hohes Arousal, niedriger Auflösungsgrad, daher unscharfes Denken und Wahrnehmen, daher riskante Entscheidungen - und außerdem Aggressionstendenzen. - Andere Gefühle kann man ähnlich kennzeichnen.
Prof. Dörner ist Direktor des Institutes für Theoretische Psychologie an der Universität Bamberg. Er hat in Kiel Psychologie studiert und dort auch promoviert und habilitiert. Professor in Düsseldorf und Gießen, von 1985 - 1991 Leiter der Max-Planck-Projektgruppe für Kognitive Anthropologie in Berlin.
15.12.2005: Gehirn-Computer-Schnittstellen (Prof. Dr. Niels Birbaumer, Tübingen)
Jean Dominique Bauby, der Herausgeber einer berühmten Modezeitschrift, wachte nach einem Schlaganfall vollständig gelähmt auf, er konnte sich niemand mehr mitteilen, dachte und fühlte aber so wie immer. Gehirn-Computer-Schnittstellen (Brain-Computer-Interfaces, BCI) können diesen schrecklichen Zustand des "Eingeschlossen-Seins" beseitigen, indem Menschen lernen, mit ihren elektrischen oder magnetischen Hirnsignalen einen Computer oder eine Prothese zu steuern. Damit können Worte geschrieben und gelähmte Glieder direkt vom eigenen Gehirn und dessen Gedanken bewegt werden. An Beispielen von Krankheiten wie der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS), Schlaganfällen und anderen Schädigungen des Gehirns, Lähmungen und Epilepsien wird die Anwendung dieser neuen Forschungsrichtung illustriert. Als Ausblick werden eine auf Gefühlsvorgängen beruhende "emotionale Gehirn-Computer-Schnittstelle" demonstriert und ethische Bedenken diskutiert.
Prof. Niels Birbaumer ist Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen und Direktor des Center for Cognitive Neuroscience der Universität Trento, Italien. Er ist z.Z. an die National Institutes of Health (NIH), Human Cortical Physiology, USA beurlaubt. Er hat viele Auszeichnungen für seine Forschungs- und Publikationstätigkeit erhalten, u.a. den Leibniz-Preis der DFG und den Albert Einstein World Award of Science. Er ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Literatur, Mainz, der Leopoldina und Präsident der Society for Psychophysiological Research (SPR).
19.1.2006: Die digitale Kunst - Ursprünge und Perspektiven (Prof. Dr. Frieder Nake, Bremen)
Als 1965 in Galerien in Stuttgart und New York erstmals Bilder gezeigt wurden, die Computer nach Programmen errechnet hatten, bei denen noch dazu eine Form von Zufall eine Rolle spielte, da malten sich noch wenige aus, dass ein radikaler Gedanke sich eine Schneise in die Kunst hinein brach. Der Computerkunst - wie man sagte - begegnete die Kunstkritik mit größter Zurückhaltung, ja mit Ironie und Spott. Fünf Jahre später aber waren Beispiele dieser Zeichnungen mit Klassikern der Moderne auf der Biennale in Venedig zu sehen. Heute sind Computer aus der Kunstproduktion nicht mehr wegzudenken. - Der Vortrag wird die Geschichte der digitalen Kunst an Hand wichtiger Ereignisse nachzeichnen und eine Reihe von Künstlern in einzelnen ihrer Werke vorstellen. An den Beispielen wird er gestalterische Möglichkeiten und Probleme aufzeigen. Er wird im historischen Rückblick auf Einflüsse und Wirkungen eingehen und die neue Aufmerksamkeit ansprechen, die der digitalen Kunst heute widerfährt.
Frieder Nake ist Hochschullehrer für Grafische Datenverarbeitung im Studiengang Informatik der Universität Bremen. Er hat in Stuttgart Mathematik studiert und zählt zu den Pionieren der Computerkunst. Nach Tätigkeiten in Toronto und Vancouver kam er 1972 nach Bremen. Die Kunsthalle Bremen richtete ihm 2004/05 eine Retrospektive aus.
für die Ukraine