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Zum ersten Mal: Lübeck kämpft um seine Uni

Es heißt: Nichts ist älter als die Zeitung von gestern. Aber diese Schlagzeile von 2005 setzte sich fest, und das hatte erhebliche Wirkung - bis 2010 und darüber hinaus

Demonstration am 10. November 2005 auf dem Koberg (Foto: HL-live)

Am 28. Oktober 2005 waren die Pläne der Landesregierung bekannt geworden, die Universitäten Kiel, Lübeck und Flensburg zu einer Landesuniversität Schleswig-Holstein mit Hauptsitz in Kiel zu fusionieren. Uni-Rektor Prof. Dominiak kündigte sofort Widerstand an, unterstützt von den Vorsitzenden des Universitätsbeirats, Björn Engholm, und der Possehl-Stiftung, Dr. Helmut Pfeifer. Sie verwiesen darauf, dass exzellente wissenschaftliche Leistungen nur in Eigenständigkeit entstehen. Den Fusionsplänen attestierten sie eine eklatante Unkenntnis der aktuellen deutschen Universitätslandschaft, wo sich seit geraumer Zeit der Trend gerade weg von der großen Massenuniversität, hin zur profilierten Schwerpunktuniversität vollzog.

„Lübeck kämpft um seine Uni“ war die Schlagzeile auf der Titelseite der Lübecker Nachrichen vom 29. Oktober. Bürgermeister Bernd Saxe kündigte massiven Widerstand an: "Niemand soll das Engagement unterschätzen, mit dem die Lübecker um ihre Hochschule kämpfen werden." Statt weiterer Zusammenschlüsse forderte der Rathaus-Chef, die Fusion der Uni-Kliniken Lübeck und Kiel wieder rückgängig zu machen: "Der zwangsweise Zusammenschluss wird mittlerweile von nahezu allen Beteiligten als gescheitert angesehen."

Die Studentinnen und Studenten formierten sich landesweit zum Protest. Zugleich mit dem Verlust der Selbstständigkeit hatte Wissenschaftsminister Dietrich Austermann auch die Einführung von Studiengebühren angekündigt. Er war seit April im Amt, ebenso wie Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, der mit einer großen Koalition regierte. Staatssekretär im Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium, ebenfalls seit April: Jost de Jager.

Die Lübecker CDU distanzierte sich von ihren Parteifreunden in der Landeshauptstadt: „Hier herrscht Unverständnis und dieses typische Grollen im Magen, wenn wieder einmal ein Vorschlag aus Kiel kommt, der nur gegen uns gerichtet scheint.“ Von „hochschulpolitischer Geisterfahrt“ sprach die Landes-FDP, und die Grünen kritisierten, dass es für die mit dem Vorhaben angeblich beabsichtigten Einsparungen an den Universitäten keinerlei Beleg, geschweige denn ein Expertengutachten gebe.

Auch die Landeskonferenz der Hochschulrektoren sprach sich gegen die Pläne der Regierung aus. Der Rektor der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel warnte vor Schnellschüssen und stellte klar, dass der Name der Kieler Uni absolut tabu sei – schwer vorstellbar bei einem Gebilde an drei Standorten. Die Pläne fanden schnell auch bundesweite Aufmerksamkeit. „Nord-Unis wollen keine Fusion“, schrieb Spiegel Online, und die Süddeutsche Zeitung titelte unter der Schlagzeile „Uni-Ehen ohne Visionen“: „Hochschulfusionen freuen vor allem die Finanzminister - als nächstes kann es die Unis in Schleswig-Holstein treffen“.

Der AStA der Uni Lübeck berief für den 10. November eine studentische Vollversammlung ein. Anschließend gab es gemeinsam mit den Studierenden der Fachhochschule und der Musikhochschule einen Demonstrationszug und eine Kundgebung in der Innenstadt. An diesem Tag tauchten erstmals, am Anfang noch zaghaft, dann flächendeckend und machtvoll, die gelben Plakate mit der schwarzen Schrift „Lübeck kämpft für seine Uni“ auf. Auf dem Koberg protestierten 4.000 gegen die Fusion. In diesen Tagen wurde auch die Internetseite www.luebeck-kaempft.de eingerichtet, der ein längeres Leben als gedacht beschieden war.

Starke Unterstützung für den Erhalt ihrer Selbständigkeit erhielt die Universität von Wirtschaftsunternehmen, Kammern und Stiftungen der Hansestadt und der benachbarten Gemeinden. Das wurde an den „Runden Tischen“ klar, die das Rektorat einberief. Eine der Protestformen von 2010 wurde ebenfalls bereits 2005 zum ersten Mal veranstaltet: die 24-Stunden-Vorlesung. Zu dem Vorlesungsmarathon am 16. und 17. Dezember von 12 bis 12 Uhr kamen 1.000 Hörerinnen und Hörer in das Institut für Medizingeschichte in der Königstraße.

Von Anfang an hatten die Universitäten den eigentlich selbstverständlichen Grundsatz eingeklagt, an den Reformüberlegungen der Landesregierung zumindest beteiligt zu werden. Dies begann allmählich Früchte zu tragen. Die Rektoren aus Kiel, Lübeck und Flensburg und die Dekane der beiden Medizinischen Fakultäten wurden zu Gesprächen ins Ministerium geladen. Ende Januar 2006 kündigte der Ministerpräsident mehr Autonomie und Eigenverantwortung für die Hochschulen an. Das konnte nur bedeuten, dass die Uni-Fusion angesichts der überwältigenden Proteste vom Tisch war! Doch dauerte es noch bis zum 7. März, bis der NDR melden konnte: „Hochschulstreit in Schleswig-Holstein beigelegt: Politik und Wissenschaft erzielen Kompromiss“.

Der wichtigste Punkt: Die drei Universitäten Flensburg, Kiel und Lübeck blieben als selbständige Universitäten bestehen. Festgelegt wurde weiterhin der Wechsel von der Rektorats- zur Präsidialverfassung der Hochschulen, die die Bewerbung Externer für das Präsidentenamt ermöglicht. Auch die beiden Medizinischen Fakultäten in Kiel und Lübeck behielten ihre Selbständigkeit.

Der schwarz-gelbe Protest an der Trave hatte seine Feuertaufe bestanden. Es waren ein Bündnis und ein Vertrauen in die eigene Kraft entstanden, das auch 2010, gut vier Jahre später, nicht in Vergessenheit geraten war, als Lübeck noch einmal, und zwar sogar noch stärker, um seine Uni kämpfen musste.

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