Bei den offiziellen Gründungsfeierlichkeiten im Rathaus standen sie noch ganz im Hintergrund, aber beim Vorlesungsbeginn gehörten sie selbstverständlich zu den Hauptpersonen: die vierzehn Studentinnen und Studenten, die Anfang November als erste an der Medizinischen Akademie Lübeck ihr klinisches Studium aufnahmen. Ulrike Soehring war unter ihnen die mit der Einschreibungsnummer 1.
Die Flensburgerin hatte zunächst in Kiel und Erlangen studiert, aber bereits dort alle Pressenotizen über die bevorstehende Gründung in Lübeck aufmerksam verfolgt. "Ich wollte schon immer gern nach Lübeck", erzählte sie bei einem Gespräch in der Redaktion der Lübecker Nachrichten. "Lübeck mit seiner Tradition ist eine besondere Stadt, das hat mich gelockt" (Lübecker Nachrichten vom 6. November 1964, S. 3).
Über ihren ersten Vorlesungstag sagte sie: "Wir waren fasziniert über den Schwung der Dozenten und über die Möglichkeiten, vor allem auch praktische Erfahrungen zu sammeln. An den großen überfüllten Universitäten wird man zu wenig mit den Kranken konfrontiert. Das ist hier anders."
Probleme der ersten Studientage in Lübeck: An manchen Stellen war in den neu hergerichteten Räumen die Farbe noch nass, und das Gestühl hatte seine Eigenheiten. Außerdem war es in der Viertelstunde zwischen zwei Vorlesungen kaum zu schaffen, vom Krankenhaus Süd nach Ost zu kommen. Aber das konnte in keiner Weise trüben, wie angetan Ulrike Soehring von ihren neuen Eindrücken und Erfahrungen war: Zusammen mit einigen anderen wurde sie gleich von einem liebenswürdigen Professor in seinem Auto mitgenommen. Zukünftig sollte ein Kleinbus der Stadtwerke eingerichtet werden. Und so fürsorgliche Wirtsleute wie in Lübeck habe sie noch nie gehabt: sie wurde morgens sogar geweckt.
Ulrike Soehring blieb bis zum erfolgreichen Staatsexamen 1970 an der Medizinischen Akademie und machte dann ihre Facharztausbildung als Allgemeinmedizinerin. Ihrem ursprünglichen Berufsziel der Kinderärztin ist sie noch heute sehr verbunden. Auf Sylt, wo sie lebt, schafft sie in einer Kinderschutzinitiative gesundheitsfördernde Bewegungsangebote für Kinder. In einem Interview in der Zeitschrift für Wissenschaft, Forschung und Lehre an der Universität zu Lübeck, "focus uni lübeck", Ausgabe Oktober 2014, spricht sie über ihre Studienzeit als "Urei der Akademie" und den anschließenden Berufs- und Lebensweg ("Medizin ist mehr als das Austeilen von Rezepten").
Wie sich die Gründungsfeiern 1964 aus Sicht der Studierenden tatsächlich darstellten, erzählt sie heute mit einigen Einzelheiten, die dem damaligen Artikel der Lübecker Nachrichten nicht zu entnehmen waren: Alle fanden es nämlich ausgesprochen schade, zur Einweihung im Rathaus nicht eingeladen zu sein. Daher schlichen sich einige einfach ein und trugen sich bei der Gelegenheit auch gleich ungefragt ins Goldene Buch der Hansestadt ein - eine Geschichte, über die sich die Beteiligten immer noch, gerade im Jubiläumsjahr, gehörig freuen können.
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