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Vernetzung2018

Vom Wert unvoreingenommener Zusammenarbeit

Was das Institut für Ernährungsmedizin mit Unterstützung von Fresenius Kabi und in Kooperation mit dem foodRegio-Netzwerk zum Wohle der Patientinnen und Patienten leisten kann

Herr Prof. Sina, Sie sind der Gründungsdirektor des Instituts für Ernährungsmedizin an der Universität zu Lübeck. Was zeichnet Ihres Erachtens unsere Universität aus, ein solches Institut zu gründen?
Mit der Gründung des Instituts trägt die Universität aktuellen Entwicklungen Rechnung. Nichtübertragbare Krankheiten wie Adipositas, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs besitzen in der westlichen Welt eine dramatisch hohe Prävalenz und sind auch in Deutschland für den Großteil aller Todesfälle verantwortlich. Tendenz steigend. Ursächlich ist in den allermeisten Fällen eine Fehlernährung. Genau hier haben wir mit der Gründung des Instituts für Ernährungsmedizin angesetzt. Unser Anspruch ist dabei ambitioniert. Wir wollen die gesamte Wertschöpfungskette von Forschung, Lehre, Krankenversorgung und Transfer abbilden. Deshalb orientieren wir uns am Anspruch unserer Hochschule als Stiftungsuniversität und verknüpfen höchsten akademischen Anspruch mit Praxisorientierung. Gerade der Austausch mit der in der Region sehr starken Ernährungswirtschaft ist uns sehr wichtig…

…was bedeuten könnte, dass wir als Universität in der Ernährungsmedizin insgesamt und der Ausprägung in Lübeck insbesondere ein Alleinstellungsmerkmal in Forschung und Lehre haben.
In der Tat ist der Dreiklang aus Studiengang, ernährungsmedizinischer Forschung und einer klinischen Sektion für Ernährungsmedizin, die uns den Zugang zu Patienten im Rahmen klinischer Forschung und Versorgung ermöglicht, in Deutschland einmalig. Darüber hinaus konnten wir den Bereich Pharmakonutrition kürzlich prominent besetzen…

…also ein weiteres Alleinstellungsmerkmal in Deutschland…
Richtig. Prof. Martin Smollich ist nicht nur ein erfahrener Hochschullehrer und ehemaliger Leiter des deutschlandweit ersten Studiengangs ›Clinical Nutrition‹, sondern er ist seit 2018 Honorarprofessor an der Technischen Hochschule Lübeck. Damit entsteht eine Brücke zwischen der THL und uns, die im Bereich der Ernährungsmedizin sowie der Lebensmittelchemie und -technologie wichtige Synergien erzeugt, die zur Stärkung des Gesamtcampus beitragen.

Zeigt sich diese Stärke in der innovativen Wissenschaft und der Kooperation mit der Technischen Hochschule auch an der Studierendenzahl?
In der Tat scheint unser Konzept auch für junge Menschen attraktiv zu sein. Im vergangenen Jahr kamen auf 65 Studienplätze in unserem Studiengang ›Medizinische Ernährungswissenschaft‹ rund 700 Bewerbungen.

Die Universität zu Lübeck ist nicht nur eine lebenswissenschaftlich geprägte Hochschule, sondern darüber hinaus in der Informatik sehr gut aufgestellt. Seit vielen Jahren wird hier ein interdisziplinärer Austausch zwischen den Sektionen und mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen gepflegt. Welche Chancen bieten sich für Ihren Forschungsbereich aus dieser Kultur?
Lübeck hat das Potenzial, zu einem wirklichen Hotspot zu werden. Gemeinsames Forschen, Lernen und Lehren durch Integration der spezifischen Expertisen von Universität zu Lübeck, Technischer Hochschule Lübeck, Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie und Zelltechnik und Lebensmittelwirtschaft bieten ganz besondere Chancen, perspektivisch mit einem Ernährungscampus einen überregional bedeutsamen Leuchtturm zu realisieren. Vielleicht noch ein Aspekt: Unser Thema verspricht darüber hinaus wichtige Impulse für Unternehmensgründungen. Damit spielt es als Ideenschmiede eine zentrale Rolle für ein lebendiges Innovationsgeschehen in Norddeutschland.

Ich würde gerne noch einmal auf die nichtübertragbaren Krankheiten zurückkommen, von denen Sie vorhin sagten, dass sie für einen Großteil der Sterbefälle verantwortlich seien…
…die so genannten chronischen, zivilisatorischen Erkrankungen. Die Lösung zu deren Bekämpfung liegt in ihrer Prävention und frühzeitigen Behandlung. Hierbei kommt der Ernährungsmedizin eine Schlüsselrolle zu. Da herkömmliche ernährungsmedizinische Ansätze aufgrund der komplexen stofflichen Zusammensetzung und fehlenden Dosis-Wirkung Beziehungen nicht zielführend sind, bedarf es neuer, innovativer und datengetriebener Ansätze, die innerhalb eines Zentrums für systemischen Ernährungsmedizin umgesetzt werden sollen. Wir zielen auf eine Vernetzung bestehender Strukturen auf dem Lübecker Campus, unter anderem im Bereich der Datengewinnung und Datenanalyse, sowie der Evaluation von datengetriebenen Konzepten.

Das heißt, Sie sehen einen weiteren Dreiklang aus IT, Arzt und Therapie. Nun haben wir gerade die chronischen, zivilisato­rischen Erkrankungen thematisiert, die primär durch Ernährung bestimmt sind. In welcher Position sehen Sie die Nahrungsmittelindustrie und welche Verantwortung sollte sie übernehmen?
Zunächst würde ich gerne Ihren Dreiklang zu einem Vierklang ergänzen. Die Nahrungsmittelindustrie spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle, denn Sie besitzt ein extrem wichtiges Know-how in den Bereichen Lebensmitteltechnologie und -produktion. Die innovativsten Forschungsergebnisse im Labor nützen in der Praxis wenig, wenn sich Ergebnisse nicht auch technologisch in Lebensmitteln oder als Supplemente umsetzen lassen – und das auch noch mit sehr hohen Ansprüchen hinsichtlich Produktqualität, Geschmack und Wirtschaftlichkeit. Für all diese Bereiche ist die Expertise der Lebensmittelindustrie unverzichtbar. Umgekehrt besitzen wir als Ernährungsmediziner das Wissen um die Entstehung, Prävention und Behandlung von Krankheiten. Sollen innovative Lebensmittel zur Prävention und Therapie ernährungsbedingter Krankheiten eingesetzt werden, ist die intensive Kooperation zwischen Lebensmittelwirtschaft und ernährungsmedizinischer Forschung essenziell.

Personalisierte Ernährung bedeutet aber nicht nur eine Ernährung, die individuell auf einen gesunden Menschen abgestimmt ist, um Zivilisationskrankheiten vorzubeugen, sie bedeutet doch auch, Therapien so zu unterstützen, dass durch eine passgenaue Wahl der Speisen die Genesung unterstützt werden kann. Können Sie Ihre Ausführungen von vorhin konkretisieren?
Datengetriebene und personalisierte Ansätze versprechen erstmalig evidenzbasierte Lösungen, da das gesundheitsfördernde Potential eines Lebensmittels zukünftig nicht mehr allein durch seine stoffliche Zusammensetzung, sondern vor allem durch seine objektivierbare Wirkung auf das Individuum definiert werden kann. Die zugrundeliegenden Verfahren erfordern jedoch ein interdisziplinäres und institutionsübergreifendes Zusammenwirken von Protagonisten aus den Bereichen der Datengewinnung und künstlichen Intelligenz, Lebensmittelherstellung, Laboranalyse, Pharmakologie und praktizierenden Medizin, die die zukünftige Präzisionsmedizin bestimmen werden.

Herr Sina, Sie kooperieren mit namhaften Unternehmen aus dem FoodRegio-Netzwerk, um eine ›Forschungs- und Technologiepartnerschaft‹, wie Frau Gillessen-Kaesbach sagte, aufzubauen, welche Position nimmt bei diesen Partnerschaften Fresenius Kabi ein?
Das Firmenmotto von Fresenius Kabi lautet ›caring for life‹ und drückt damit aus, was wir auch durch unsere tägliche Arbeit erreichen möchten, nämlich eine Verbesserung in der Therapie unserer Patienten. Auf dem Gebiet der klinischen Ernährung ist Fresenius Kabi seit Jahrzehnten Weltmarktführer und besitzt entsprechend eine unglaubliche Expertise in diesem Feld. Dass so eine renommierte Firma mit uns zusammenarbeiten möchte, erfüllt mich nicht nur mit Stolz, sondern ist auch eine tolle Bestätigung unserer Arbeit. Darüber hinaus profitieren wir natürlich auch von dem großen Expertenwissen eines Weltmarktführers. Daneben verstehen wir uns aber auch als Brückenbauer und Bindeglied von akademischer Forschung und den in der foodRegio organisierten Unternehmen der Ernährungswirtschaft. Wir sehen uns als Teil eines erfolgreichen Netzwerks, das dabei hilft Projekte zu stemmen, die ohne die Beteiligung von Wirtschaft und Wissenschaft nie zustande gekommen wären. Die Zusammenarbeit mit Fresenius Kabi schließt in unserem regionalen Zusammenschluss von Hochschulen und Wirtschaftsbetrieben eine wichtige Lücke und erlaubt einen Einblick in die Sicht- und Arbeitsweisen eines globalen Players und börsennotierten Unternehmens. Meine Hoffnung für die Zukunft ist, dass die mit uns verbundenen international agierenden Partner auch die Vorteile einer Zusammenarbeit mit der regionalen Wirtschaft erkennen und so eine lebendige Gründer- und Wissenschaftsszene auf dem Campus befördert wird, von der alle Beteiligten und vor allem unsere Studierenden profitieren sollen.

Bedeutet Ihre eigene Ausgründung, dass die Forschungsergebnisse Ihres Instituts bereits so aussagekräftig sind, dass Empfehlungen zur individuellen Ernährung gegeben werden können?
Die Ausgründung der Perfood GmbH aus der Universität 2017 geschah aufgrund einer Idee, die uns zwar logisch erschien, aber noch nicht ausreichend mit Daten unterlegt war. Im Rahmen einer sogenannten Exist-Förderung des Bundes konnten wir die ersten Daten produzieren und sahen uns in unserer Annahme bestätigt, dass das Konzept aufgehen könnte. Nach nun anderthalb Jahren steht der erste Algorithmus und wir können sehr präzise und reproduzierbar Aussagen zur individuellen Verstoffwechslung von Nahrungsmitteln treffen. Darüber hinaus kooperieren wir mit ausgesuchten Firmen, die zusammen mit uns an der Ernährung der Zukunft arbeiten. Erst kürzlich hat Perfood zusammen mit der foodRegio und weiteren Partner das NewtritionX Format aufgesetzt und den gleichnamigen Zukunftskongress hier in Lübeck organisiert.

Lieber Herr Sina, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Interview mit Prof. Christian Sina führte Dr. Stefan Braun.

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