Ich wurde gebeten, etwas über ›Good Governance an der Uni Lübeck‹ zu schreiben. Über ein ›gutes Regelungssystem‹, klingt nicht besonders heiter – aber als Kanzlerin stelle ich mich der Aufgabe.
Unser Regelungssystem zunächst sicherlich der Organisationsstruktur als öffentlich-rechtliche Stiftung – Obacht, keine privatrechtliche Stiftung. Warum betone ich das? Weil viel so geblieben ist, wie es vorher war. Was war uns wichtig? Gleiche Rechte und öffentliches Sicherheitsnetz wie die anderen schleswig-holsteinischen Hochschulen. Was hat uns unser neues Regelungssystem noch gebracht? Einen Stiftungsrat. Er ist so etwas wie ein Aufsichtsrat und ersetzt den Hochschulrat. Er hat allerdings deutlich mehr Rechte als letztgenannter, so beschließt er unter anderem den Wirtschaftsplan. Wirtschaftsplan ist ein gutes Stichwort: Wir haben keinen Haushaltsplan mehr, keine kamerale Buchführung und keine Titel. In der Theorie – in der Praxis müssen wir für das kamerale Land leider trotzdem weiter Titel führen. Aber nun gut, wir wollten ja gleiche Rechte – ergo gleiche Pflichten. Die Stiftungsuniversität hat aber trotz der Governance-Struktur einen erheblichen Mehrwert für die Universität. Dazu gehören Selbstverständnis, Außenwahrnehmung und das kleine bisschen ›anders‹ in der landesweiten Hochschullandschaft. Dieses kleine Anderssein bietet immer wieder die Chance, Neues auszuprobieren und mutig zu sein. Wir sind befähigt, teilweise etwas freier zu denken und eigene Vorschläge in Hinblick auf Regelungs- und Steuerungssysteme zu
entwickeln.
Über die Stiftungsuniversität wird oft diskutiert und sie ist schließlich auch die neue ›Governance-Struktur‹, in der wir leben (wobei wir nun auch schon fast fünfjährigen Geburtstag haben). Wenn man an Governance denkt, fällt einem bei der Universität zu Lübeck sofort auf, dass wir keine Fakultäten haben, was uns zunächst sprachlich vor nicht unerhebliche Herausforderungen stellt (Sektionsvorsitzender des gemeinsamen Sektionsausschusses der Sektionen Informatik und Technik – oha, oder auch der ›Nichtdekan‹; koordinierender Studiengangsleiter der Bachelor- und Masterstudiengänge der MINT-Sektionen – aha, der ›Studiendekan‹). Doch neben diesen sprachlichen Herausforderungen hat die fakultätslose Struktur eine Reihe von Vorteilen, die meines Erachtens maßgeblich zu unserer Entwicklung der letzten zehn Jahre führte:
2010: Die Schließung der medizinischen Fakultät droht – gelbe T-Shirts – Demonstration
2019: knapp 5.000 Studierende, 16 Studiengänge mehr als 2010, von erneuten Schließungsgedanken wollen wir nicht mehr sprechen.
Was sind die maßgebenden Aspekte, warum die Uni Lübeck eine Kehrtwende um 180 Grad gemacht hat?
Politik? Glück? Oder haben wir auch selbst etwas bewegt?
Ja, wir haben selbst darauf hingewirkt, dass das schleswig-holsteinische Hochschulgesetz uns erlaubt, eine Universität ohne Fakultäten und mit einer zentralen Steuerung zu sein. Und warum?
Das Wort Fakultät stammt vom lateinischen Wort facultas: Fähigkeit, Vermögen, Vollmacht (Duden). Fakultäten sind selbst Inhaber des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit. Sie sind teilrechtsfähige Untereinheiten der Universität mit einer eigenen, begrenzten Satzungsautonomie und zuständig für die Organisation und Koordination des universitären Lehrbetriebs sowie die Mittelverteilung (Hartmer/Detmer-Kempen, Hochschulrecht – Ein Handbuch für die Praxis, Kapitel 1, Rn. 26, 3. Auflage 2017). Diese Souveränität bedeutet Verantwortung und Verantwortung für etwas tragen bedeutet notgedrungen auch, die eigene Fakultät first, wie es seit einiger Zeit im Fachjargon heißt. Das wiederum zieht unausweichlich nach sich, dass die Interessen der anderen Fakultäten gegenüber der eigenen zurückstehen müssen. Daraus ergibt sich im Optimalfall ein gesunder Wettbewerb, ein Abgrenzen der eigenen Stärken und mithin die Möglichkeit, einer Weiterentwicklung und Entfaltung der eigenen Fachlichkeit.
Aber wie wirken sich nachhaltige finanzielle Engpässe auf eine solche Struktur aus? Entweder die Hochschule kürzt mit der Gießkanne oder es wird zugunsten des einen Fachbereichs und zulasten des anderen gekürzt. Weder das eine noch das andere bewirkt einen konstruktiven Umgang mit der Situation und befördert nur den neidischen Blick in Nachbars Garten. Kann das eine in Schleswig-Holstein denkbare Situation sein? Lassen Sie uns kurz überlegen – ja! Das ist eigentlich der Dauerzustand, in dem sich die schleswig-holsteinischen Hochschulen befinden. »100 Mio. € Gegenfinanzierung des Landes für KI-Initiativen und 20 zusätzliche Professuren« – eine Schlagzeile aus Baden-Württemberg, die sich die neun schleswig-holsteinischen Hochschulen gar nicht vorstellen können.
Die Universität zu Lübeck erreichte nun vor acht Jahren eine weit über diese Standardsituation hinausgehende Hiobsbotschaft: Die gesamte medizinische Fakultät sollte mit der Kieler Fakultät zusammengeführt werden. Was wäre hier geblieben? Eine zu dem Zeitpunkt überschaubare Informatik, aus der sich die Universität schwerlich hätte weiterentwickeln können. Ich verzichte an dieser Stelle auf eine bildreiche Beschreibung des dann Geschehenen, denn ich war nicht dabei – viele von Ihnen aber schon. Ich kam kurz nach dem grandiosen Erfolg des Erhalts der Lübecker Medizin an die Universität und war guter Dinge, dass die abgewendete Gefahr nicht wiederkäme.
Eine Universität ohne Fakultäten war eine Idee, die schon länger in manchem Kopf schwirrte – doch eine Universität ohne Fakultäten ist schon ein kurioser Gedanke. Wer soll denn statt der Fakultät Forschung und Lehre verantworten? Der erste Strukturentwicklungsplan der Universität zu Lübeck vom 7. Mai 2010 führt hierzu aus »Die Bedeutung fachübergreifender Forschung und Lehre und die Notwendigkeit interdisziplinäre
Forschungsschwerpunkte zu entwickeln, erfordert die bestmögliche Umsetzung des in der Begründung des neuen Hochschulgesetzes gesetzten Zieles einer zentral durch das Präsidium geleiteten Hochschule, deren Leitungsorgane rechtlich und tatsächlich in der Lage sind, notwendige Handlungen und Entscheidungen zielgerichtet und mit kurzen Entscheidungswegen durchzuführen. […] Unter Berücksichtigung der Campuslage der Partner und des aus wenigen Disziplinen bestehenden fokussierten Fächerspektrums bietet aus Sicht der Universität eine integrierte Struktur die besten Möglichkeiten für eine dauerhafte Entwicklung von Forschung und Lehre. Im Innenverhältnis sind Medizin, Informatik, Naturwissenschaften und Technik organisatorisch weitestgehend zusammenzuführen, um so eine Profiluniversität mit starker Ausprägung und enger Verknüpfung von Biomedizin, Informatik und Technik zu entwickeln. Die Abkehr von der Fakultätsstruktur bietet hierfür optimale Voraussetzungen.«
Das durch die Auflösung der Fakultäten gestärkte Präsidium ist verantwortlich für die Durchsetzung der im Hochschulgesetz und den mit dem Land Schleswig-Holstein geschlossenen Zielvereinbarungen definierten Aufgaben. Die Aufgaben der Dekanate sind auf das Präsidium übergegangen. Die Universität zu Lübeck hat daher eine zentrale strategische Steuerung und eine dezentrale wissenschaftlich-inhaltliche Verantwortung. In den Instituten und Kliniken entstehen so zunächst die Erkenntnisse, auf denen dann die strategischen Entscheidungen aufbauen – dafür sind die erwähnten Wortmonster ›Sektionsausschüsse‹ gegründet worden.
Die Gesetzesbegründung für die avisierte Stärkung der Hochschulleitungen lautete, dass das Präsidium die Hochschule in eigener Zuständigkeit leiten solle und grundsätzlich für alle Fragen des strategischen und operativen Managements zuständig sei. Hochschulen könnten nämlich im zunehmenden nationalen und internationalen Wettbewerb nur dann erfolgreich agieren, wenn die Hochschulleitungen rechtlich und tatsächlich in der Lage sind, notwendige Handlungen und Entscheidungen zielgerichtet und mit kurzen Entscheidungsformen durchzuführen. Durch den Wegfall der Fakultäten ist neben dem Präsidium auch der Senat als Entscheidungsgremium in erheblichem Maße aufgewertet worden. Er ist zusammen mit dem Stiftungsrat das Entscheidungsgremium für alle akademischen Angelegenheiten aber auch für viele andere Fragen mit wesentlicher Bedeutung.
Gilt nun ›Papier ist geduldig‹, insbesondere Gesetze und Strukturpläne, oder war es tatsächlich diese Fakultätsfreiheit, die maßgeblich Anteil daran hatte, dass wir von dem kleinen Medizinannex der CAU zu einer eigenständigen, nicht in Frage gestellten, souveränen und selbstbewussten Universität wurden? Ich wähle nur ein Beispiel von vielen, das diese Aussage stützt: Die Akademisierung der Gesundheitswissenschaften ist ein bundesweit hochpolitisches Thema, mit dem sich derzeit auch unser neuer, junger aufstrebender Bundesgesundheitsminister beschäftigt. Nur an der Universität zu Lübeck konnten bisher die Empfehlungen des Wissenschaftsrats umgesetzt werden, die Studiengänge der Gesundheitswissenschaften an einer medizinischen Fakultät (ich weiß, Sektion…) einzurichten. Sie bieten somit von Anfang an die Interdisziplinarität der Ausbildung mit der Humanmedizin. Hätten wir Fakultäten, hätte schon der Gewissensstreit über die Akademisierung der Gesundheitsfachberufe Jahre gedauert, abgesehen von der Frage, wie diese finanziell auszustatten sind – wo wir wieder bei eigener Fakultät first wären. Die Gesundheitswissenschaften sind bereits jetzt zu einem unserer Aushängeschilder geworden und sind Ausdruck dafür, dass bei mancher strategischen Weggabelung eine zentrale Steuerung den entscheidenden Vorsprung bedeuten kann.
Ich könnte nun noch über eine weitere spannende ›gute Regelungsstruktur‹ berichten – die Erweiterung des UKSH-Vorstands um Vorstandsmitglieder, die eigens für Forschung und Lehre zuständig sind und das in Personalunion mit einem Dekan bzw. mit einem hauptamtlichen Vizepräsidenten Medizin. Doch mein Auftrag hieß, mit diesem spannenden Oberthema nicht mehr als zwei Seiten zu füllen und so lasse ich das Medizinthema für meinen nächsten Kolumnenbeitrag.
Sandra Magens
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