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Geschichte

Heilanstalt Strecknitz

Von Burghard Weiss

  • Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung der Universität zu Lübeck

Der Campus der Universität zu Lübeck und des UK-SH Lübeck erstreckt sich über ein weitläufiges Gelände im Lübecker Süden, das von der Ratzeburger Allee im Osten bis zum Mönkhofer Weg im Westen reicht. Der äußere Eindruck wird von einer Massierung moderner Zweckbauten bestimmt, deren Dichte durch Erweiterungsbaumaßnahmen ständig zunimmt. Der Verdichtung trotzend, gibt es auch fast idyllisch anmutende Ecken, dort, wo Grün den Eindruck freundlich stimmt, besonders im östlichen, historischen Teil der Anlage.

Doch, wie mahnte einst der Berliner Publizist Heinz Knobloch in Anbetracht des heutigen Gesichtes unserer Städte: „Misstraut den Grünanlagen!“ Nicht selten breiten diese einen freundlichen und damit kaschierenden Mantel über Orte unliebsamer Erinnerungen. Wer kann sich beim heutigen Anblick noch vorstellen, dass das historische Klinikgelände, dominiert von dem markant wirkenden Uhrenturm und geprägt von lockerer Pavillonarchitektur und parkähnlicher Durchgrünung, einmal Teil eines mörderischen Systems war? Das System hieß „Psychiatrie im Dritten Reich“. Doch der Reihe nach ....

Nach ersten bescheidenen Anfängen in der historischen Stadt beschloss die Stadt Lübeck kurz vor dem Ersten Weltkrieg die Gründung einer psychiatrischen Fachklinik, die zunächst für 300 Patienten ausgelegt wurde. Unter Anlehnung an ostholsteinische Gutsanlagen wurde auf dem Gelände des Stadtgutes Strecknitz eine Anlage errichtet, die, in zahlreiche freistehende Pavillons geteilt, die Differenzierung der Patienten nach Geschlecht, Diagnose und Verpflegungsklasse erlaubte.

Der starke Anstieg der Patientenzahl erzwang Mitte der zwanziger Jahre bereits eine erste Erweiterung um 200 Betten. Ende der zwanziger Jahre erklärte sich Lübeck  im Rahmen eines Staatsvertrages bereit, 400 weitere Patienten aus Hamburg zu übernehmen, zu deren Unterbringung bauliche Erweiterungsmaßnahmen erforderlich wurden („Hamburger Häuser“, darin heute die Kliniken für Gynäkologie, Neurochirurgie, Urologie, Herzchirurgie).

Stand bis 1933 das individuelle Wohl des Patienten im Vordergrund der nach modernen Grundsätzen organisierten psychiatrischen Therapiemaßnahmen („salus aegroti suprema lex“), verschob sich nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten der Fokus der Medizin vom Individuum auf den „Volkskörper“: „Gesundes Volk, starkes Volk, unbesiegbares Volk“ lautete die Devise der systematisch auf die Vorbereitung von Krieg und Vernichtung abzielenden NS-Ideologie. Jegliche Form menschlicher Behinderung wurde dazu benutzt, Menschen zu „Ballastexistenzen“ zu stempeln, die zunächst  medizinisch vernachlässigt, dann im Zuge der „Euthanasie“-Programme der systematischen Vernichtung zugeführt wurden.

So kam es bereits im September 1940 zur Deportation von zunächst 20 jüdischen Patienten in die Vernichtungsanstalt Brandenburg. Ein Jahr danach, am 23. September 1941, wurden im Zuge der Auflösung von Strecknitz 605 Patienten in die „Durchgangsanstalten“ Eichberg, Herborn, Scheuern und Weilmünster deportiert, wo fast alle durch Vernachlässigung, Hunger, Krankheit oder Giftinjektionen starben. An ihr Schicksal erinnert seit 1983 in besagter Grünanlage eine auf Höhe von Haus 6 (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie) auf einem Stein montierte kleine Bronzetafel, die nur allzuleicht übersehen wird ...

Die vom „Ballast“ befreite Anstalt wurde Ausweichkrankenhaus, nach dem Krieg Städtische Klinik, schließlich Medizinische Akademie und damit die Keimzelle unserer heutigen Universität zu Lübeck.

Literaturhinweise

Peter Delius, Das Ende von Strecknitz. Die Lübecker Heilanstalt und ihre Auflösung 1941, Kiel 1988.

Heinz Knobloch, Mißtraut den Grünanlagen! Extrablätter, Berlin 1996.

Kathrin Schepermann, Horst Dilling, Schicksale psychiatrischer Patienten der Lübecker Heilanstalt Strecknitz im Dritten Reich, Lübeck 2005.

http://de.wikipedia.org/wiki/Heilanstalt_Strecknitz  (Zugriff am 17.04.2013).

Gedenkstein für die deportierten Patientinnen und Patienten (Foto: René Kube)