Montag, 27.04.2015

Lehre

Ingenieurpsychologie:
Mit den Augen begreifen

Dynamische visuelle Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsexpertise - Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Georg Jahn, Institut für Multimediale und Interaktive Systeme der Universität zu Lübeck, am 6. Mai (18 Uhr, Hörsaal AM4)

Wenn wir mit technischen Systemen interagieren, führen wir Bewegungen aus, mit denen wir Cursor positionieren, Tasten anschlagen, Icons antippen, Hebel ziehen und Pedale drücken. Diese Bewegungen können wir beobachten und in der Regel verursachen sie Reaktionen des Systems, die wir ebenfalls beobachten können. Das Interagieren mit technischen Systemen genauso wie handwerkliche Tätigkeiten und jede Fortbewegung sind wahrnehmungsgesteuerte und Wahrnehmungen generierende Abfolgen von Bewegungen. Nur selten wird bewusst, dass zu den Bewegungen während dieser Tätigkeiten auch die Bewegungen der Augen zählen. Nahezu jedem Griff und jedem Klick geht ein Blick voraus.

Die Antrittsvorlesung beleuchtet im ersten Teil wesentliche Voraussetzungen dieser Wahrnehmungssteuerung gezielter Handlungen: Handlungsmöglichkeiten erkennen zu lernen, Bewegungsziele auszuwählen und sie im Blick zu behalten. Dies sind Themen einer mit Eleanor und James Gibson assoziierten Wahrnehmungstheorie in der Tradition der Gestaltpsychologie und einer prämotorischen Theorie der Aufmerksamkeit.

Der zweite Teil behandelt überraschende Konsequenzen dieser Ideen und wie sie sich erfolgreich auf Phänomene aus den Bereichen Denken und Entscheiden anwenden lassen, die üblicherweise kaum mit Wahrnehmung und Aufmerksamkeit in Verbindung gebracht werden. Denkprozesse aktivieren mentale Inhalte. Wenn semantische Inhalte mit Positionen im Raum verknüpft sind, wird der Blick unwillkürlich auf den Ort gerichtet, der mit einem aktivierten mentalen Inhalt assoziiert ist, auch wenn der Ort inzwischen leer ist. Dadurch lassen sich durch das Aufzeichnen von Blickbewegungen gedächtnisbasierte Denkprozesse wie diagnostische Schlussfolgerungen und Multi-Attribut-Entscheidungen im Verlauf verfolgen.

Der Grund für die aussagekräftigen Blickbewegungen auf geleerten Informationsdisplays ist gedächtnisinduzierte prämotorische Aufmerksamkeit, die durch Aktivierung über die Ausführungsschwelle gehoben wird. Eine weitere, in der Wahrnehmungstheorie begründete Anwendung überträgt Ideen zum Erlernen des Erkennens von Handlungsmöglichkeiten auf Denkleistungen mit symbolischen Notationen.

Computergestütztes Training im Erkennen abstrakter Relationen in mathematischen Gleichungen verbessert beeindruckend effektiv Schulleistungen in Mathematik. Computergestütztes perzeptuelles Training wird auch eingesetzt, um Wahrnehmungsexpertise in verschiedenen Bereichen der Medizin aufzubauen und die Fähigkeit zu verbessern, Informationsvisualisierungen und Anzeigen technischer Systeme zu interpretieren.

(W2-Professur für Ingenieurpsychologie und Kognitive Ergonomie am Institut für Multimediale und Interaktive Systeme)

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