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Montag, 27.04.2015

Lehre

Getting personal: Tuberkulose

Prof. Dr. Christoph Lange (links), Prof. Dr. Stefan Niemann

Antrittsvorlesungen „Individuelle Behandlung von Tuberkulosepatienten‘‘ und „Evolution und Ausbreitung von Tuberkulosebakterien‘‘ am 29. Mai

Die Sektion Medizin der Universität zu Lübeck lädt ein zu den Antrittsvorlesungen „Getting personal: Individuelle Behandlung von Tuberkulosepatienten‘‘ von Prof. Dr. med. Dr. h.c. Christoph Lange (W3-Professor für International Health / Infectious Diseases) und „Evolution und Ausbreitung von Tuberkulosebakterien‘‘ von Prof. Dr. rer. nat. Stefan Niemann (W3-Professor für Molekulare und Experimentelle Mykobakteriologie) am 29. Mai 2015 um 10 Uhr im Hörsaal Z1/2 (Zentralklinikum).

Getting personal: Individuelle Behandlung von Tuberkulosepatienten

Als Robert Koch im Jahr 1882 eine bakterielle Infektion als Ursache für die Tuberkulose identifizierte, gehörte diese Erkrankung zu den häufigsten Todesursachen in Europa. Das trifft auch heute noch für manche Regionen in Afrika und Asien zu. In Westeuropa ist die Tuberkulose inzwischen eine seltene Erkrankung geworden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) propagiert seit 2014 die Elimination der Tuberkulose in Ländern mit niedriger Inzidenz. Ohne eine Vakzine, die Kontaktpersonen besser vor einer Primärinfektion und Erkrankung schützt, als die Mycobacterium bovis Bacille Calmette Guérin (BCG) Vakzine, erscheint die Elimination der Tuberkulose aber auch in Westeuropa  nicht naheliegend.

Im Gegenteil. Während der vergangenen Jahre wird weltweit eine dramatische Zunahme von multiresistenten (engl.: multidrug-resistant; MDR) Mycobacterium tuberculosis Stämmen beobachtet. Ein Drittel aller identifizierten Patienten mit einer MDR-Tuberkulose leben in der WHO-Region Europa. Zu den besonders betroffenen Ländern gehören Nachbarstaaten der EU: Russland, Weißrussland, die Ukraine und die Republik Moldawien. Die Behandlung von Patienten mit einer MDR-Tuberkulose ist langwierig, kostspielig, nebenwirkungsreich und unter Standardbedingungen durch geringe Heilungschancen gekennzeichnet.

Um die Heilungschancen von betroffenen Patienten zu erhöhen und die Ausbreitung Antibiotika-resistenter Stämme von M. tuberculosis zu verhindern, müssen Patienten zunächst Zugang zu adäquater medizinischer Versorgung erhalten. Erhebliche zeitliche Verzögerungen in der Diagnose der MDR-Tuberkulose können heute durch molekulare Diagnostik von Resistenz-assoziierten Mutationen im Genom von Mycobacterium tuberculosis überkommen werden. Mit diesem Wissen werden maßgeschneiderte Therapien bereits zu Beginn der Behandlung eingesetzt, anstatt die Patienten mit wirkungsärmeren Standardtherapien zu behandeln. Durch Monitoring von Blut-Wirkspiegeln werden Variationen in der Aufnahme von Medikamenten und ihrer Verstoffwechselung erkannt. Diese Informationen erlauben eine individueller Anpassung der Medikamentendosen. Die klinische Forschung zielt darauf ab, Biomarker zu identifizieren die Informationen liefern, um die Prognose der Therapie und die optimale Dauer der Behandlung zu definieren. Dadurch werden Informationen über individuelle Wirtsfaktoren und Komorbiditäten in die Wahl der Therapie und die Entscheidung der Behandlungsdauer einbezogen.

Erfolge in der Therapie von Patienten, die von einer MDR-Tuberkulose betroffen sind, werden im multidisziplinären Team und in enger Kommunikation mit den betroffenden Patienten erzielt. Zugang zu Versorgungsstrukturen, medizinische, pflegerische physiotherapeutische Expertise, ein stetiger interdisziplinärer Dialog, anhaltende wissenschaftliche Neugierde, hygienische Standarts, soziale Kompetenz und eine veranatwortungsvolle ganzheitliche Wahrnehmung jedes einzelnen Patienten tragen gemeinsam zum Therapieerfolg bei.

Evolution und Ausbreitung von Tuberkulosebakterien

Wie verbreiten sich Tuberkulosebakterien? Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle? Und warum sind manche Erreger-Varianten erfolgreicher als andere? Diese Fragen sind der Schlüssel zum Verständnis der aktuellen Tuberkulose-Epidemie und zur Entwicklung effektiver Kontrollprogramme.

Die Tuberkulose (TB) ist auch heute noch eine der wichtigsten bakteriellen Infektionserkrankungen. Nach Schätzungen der WHO ist ein Drittel der Weltbevölkerung mit dem TB-Erreger aus dem M. tuberculosis Komplex (Mtb) infiziert. Circa neun Millionen Menschen erkranken an einer TB und 1,5 Millionen Menschen sterben jährlich an dieser Krankheit. Eine enorme Bedrohung stellt das vermehrte Auftreten von resistenten oder multiresistenten (MDR) Stämmen dar. Zusätzlich zu MDR-Stämmen treten in den letzten Jahren aufgrund von Fehlbehandlungen mit Zweitrangmedikamenten vermehrt sogenannte "extensively resistent" (XDR) Stämme  auf, die bereits in über 100 Ländern nachgewiesen werden konnten.

Diese Entwicklung wirft die Frage auf, ob die TB in Zukunft noch behandelbar sein wird, oder ob letztendlich eine weltweite Epidemie von MDR/XDR Stämmen zu erwarten ist. Eine derartige Entwicklung scheint derzeit in Osteuropa bereits stattzufinden. In verschiedenen Regionen mit hohen Resistenzraten wurden Ausbrüche von MDR Stämmen beobachtet, die sich in kürzester Zeit trotz verfügbarer TB-Antibiotikatherapien auch überregional ausbreiten können.

Im Rahmen der Antrittsvorlesung werden Ergebnisse zur globalen Ausbreitung und Evolution von Tuberkulosebakterien vorgestellt. Durch Kombination verschiedener Genotypisierungsmethoden („genetischer Fingerabdruck“), konnte die Populationsstruktur von Mtb-Stämmen aufgeklärt und die globale Ausbreitung bestimmter Genotypen analysiert werden. Interessanterweise, breiten sich Stämme bestimmter Genotypen global aus, wogegen andere lokal begrenzt bleiben.

Ein besonderes Ausbreitungsmuster zeigte sich bei Stämmen des Beijing-Genotyps, die zudem vielfach mit dem vermehrten Auftreten von Resistenzen assoziiert sind. Durch Analyse einer globalen Kollektion von knapp 5.000 Beijing-Stämmen aus 99 Ländern, konnten Evolution und geographische Verbreitung rekonstruiert und Erfolgsmechanismen von multiresistenten Stämmen ermittelt werden. Besonders bemerkenswert war, dass die hohen MDR-Tuberkulose Raten in Osteuropa hauptsächlich auf zwei „Outbreak“-Stämme zurückzuführen sind. Besonders vorteilhafte Mutationen im Erbgut der Bakterien sind wahrscheinlich eine Hauptursache für deren effizientere Übertragung und die massive Ausbreitung in den letzten 20 Jahren.

Die Studien zeigen, dass die unkontrollierte Verbreitung der MDR-Tuberkulose in Osteuropa, aber auch in anderen Regionen der Welt wie Südafrika, eine enorme Herausforderung für das Gesundheitswesen im 21. Jahrhundert darstellt. Die effiziente Überwachung der Ausbreitung resistenter Mtb-Stämme mit molekularbiologischen Verfahren ist essentiell, um Outbreaks hochvirulenter MDR-Varianten schnell zu erkennen und eindämmen zu können. Darüber hinaus sind der schnelle Nachweis von Resistenzen zur Einleitung einer wirksamen Therapie, sowie die Entwicklung neuer Medikamente von entscheidender Bedeutung für die erfolgreiche Bekämpfung der Tuberkulose.