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Donnerstag, 08.01.2015

Lehre

Das Jahrhundert der Genetik: Gregor Mendels Vermächtnis

Antrittsvorlesung zur begriffsgeschichtlichen Perspektive von Prof. Dr. Staffan Müller-Wille am 21. Januar (18 Uhr, Hörsaal AM4)

Gregor Mendels Aufsatz “Versuche über Pflanzenhybriden”, verfasst vor rund hundertfünfzig Jahren, hat Wissenschaftshistoriker schon immer auf Grund seiner eigenartigen Rezeptionsgeschichte fasziniert. Während dieser Aufsatz zunächst für mehr als dreißig Jahre unbeachtet blieb, schuf seine “Wiederentdeckung” im Jahr 1900 die Grundlage für den raschen Aufstieg der Genetik zu einer zentralen Disziplin der Lebenswissenschaften im 20. Jahrhundert.

Die Antrittsvorlesung widmet sich dem Phänomen Mendel aus einer neuen Perspektive. Ausgehend von Ergebnissen aus der Mitarbeit an einer neuen und detailliert kommentierten Übersetzung von Mendels Aufsatz in das Englische wird in einem ersten Schritt gezeigt, dass es ihm nicht um die Offenlegung allgemeingültiger Naturgesetze ging, sondern vielmehr darum – wie es der Statistiker und Populationsgenetiker R.A. Fisher einmal kongenial ausdrückte – „die Wahrheit seines faktoriellen Systems zu demonstrieren.“ Anders gesagt: Mendels Leistung bestand in der Bereitstellung einer neuen analytischen Methodik.

Aus Mendels Faktoren wurden, auf Grund einer Wortneuschöpfung durch den dänischen Botaniker Wilhelm Johannsen, zu Beginn des 19. Jahrhunderts Gene. Interessanterweise, so wird in einem zweiten Schritt gezeigt, entsprang die wissenschaftliche Fruchtbarkeit dieses neuen Begriffs seiner Mehrdeutigkeit. Ganz im Sinne Mendels legte das Gen Biowissenschaftler nicht auf ein reduktionistisches und deterministisches Weltbild fest, sondern erlaubte ihnen vielmehr einen gezielten Zugriff auf die Vielfalt von dynamischen Beziehungen, die zwischen unterschiedlichen biologischen Ordnungen – wie der Weitergabe und Entwicklung von Merkmalen – bestehen.

Das Weltbild der Biologie ist mit der Genetik, so das Fazit der Ausführungen, nicht etwa ärmer geworden, sondern in oft verwirrender Weise reicher, und dieser Prozess setzt sich bis heute fort.

(Honorarprofessur für das Fach Wissenschaftsgeschichte an der Sektion Naturwissenschaften der Universität zu Lübeck)

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Prof. Dr. Staffan Müller-Wille