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Mittwoch, 02.07.2014

Historie

Verbotene Podiumsdiskussion fand auf der Wiese statt

Lübecker Nachrichten vom 4. Juli 1975 (Fotos: Alice Kranz-Pätow)

Bis weit in die 70er Jahre hinein prägte die 1968 ausgelöste Studentenbewegung die deutschen Hochschulen - direkt ebenso wie mit ihren mittelbaren Auswirkungen

Das Hochschulleben war tiefgreifend politisiert, Proteste und Demonstrationen trafen zunehmend auf Erlasse und Reglementierungen. Gleichzeitig hatte die Öffnung der Hochschulen zu volleren Hörsälen geführt, und ein Abflauen der Wirtschaft trübte die Beschäftigungsperspektiven ein. „Verschärftes Ordnungsrecht, schlechte Studienbedingungen, unzulängliche Förderung, karge Berufsaussichten – an den bundesdeutschen Hochschulen sammelt sich eine breite Protestbewegung“, schrieb „Der Spiegel“ 1977 (Nr. 21, S. 60).

1975 hieß eines der hochschulpolitischen Schlagworte in Schleswig-Holstein „Maulkorberlass“. Gemeint war damit der Erlass des Kultusministeriums vom Mai, mit dem die Nutzung akademischer Gebäude und Räume geregelt wurde. Die Benutzung müsse verweigert werden, hieß es dort, „wenn Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, dass eine erhebliche Störung des Unterrichts oder des allgemeinen Betriebes zu befürchten oder abzusehen ist“ oder „Ziel, Inhalt und Form der Veranstaltung im Widerspruch zur freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen werden“. Parteipolitische Werbung auf dem Hochschulgelände wurde untersagt, das Anbringen von Spruchbändern und das Aufstellen von Informations- und Verkaufsständen bedurfte der Erlaubnis durch die Hochschulleitung.

Der Erlass führte zu einer Solidarisierungswelle innerhalb der schleswig-holsteinischen Studentenschaft, die darin eine Ausschaltung von Grundrechten wie der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit sah. An der Universität Kiel bildete sich eine studentische Aktionseinheit, die zu Vorlesungsboykotten aufrief und Anfang Juni den Abbruch einer Rektoratsübergabe erzwang (Lübecker Nachrichten vom 5. Juni 1975).

Auch in Lübeck kamen die Gebäudenutzungsrichtlinien zur Anwendung. Betroffen war eine Podiumsdiskussion zum Thema Altstadtsanierung, die in der Fachhochschule stattfinden sollte. Als Fachveranstaltung des dortigen Bereichs Bauwesen sollte sie die Initiativen zur Rettung der Lübecker Altstadt fortführen, wie sie im Oktober des vorausgegangenen Jahres auf einer zweitägigen Konferenz mit Experten aus dem In- und Ausland diskutiert worden waren.

Die kontroverse Auseinandersetzung um eine Sanierungsvorlage („S4-Bericht“) mit Planungskriterien wie Denkmalschutz und Verkehrsberuhigung schlug kommunalpolitisch und öffentlich hohe Wellen. Diesmal aber stellte der Rektor den beantragten Raum für die Veranstaltung nicht zur Verfügung, und die Studenten und Podiumsteilnehmer standen vor verschlossenen Türen. Kurz entschlossen führten sie die Diskussion auf der Wiese vor der Hochschule durch.

Der Lübecker AStA protestierte „schärfstens gegen die Willkür in der Raumvergabe“. Eine Podiumsdiskussion sei keine einseitige parteipolitische Sache und die Hochschule kein Elfenbeinturm. Der Personalrat der Medizinischen Hochschule, von der Prof. Preuner als Mitglied des Rates für Stadtentwicklung beim Innenminister des Landes hatte teilnehmen sollen, verurteilte den Erlass des Kultusministeriums ebenfalls und schloss sich der ausführlichen Stellungnahme des AStA „voll inhaltlich“ an: „Wir sind der Meinung, daß das allgemeine Hausrecht für die Leitung einer Hochschule ausreicht und daß dieser Maulkorberlaß eine zusätzliche Maßnahme der Kultusbürokratie darstellt, um jegliche politische Aktivität und jedes Interesse einzuschränken. Deswegen lehnen wir die Richtlinien in ihrer Gesamtheit ab und fordern die Zurücknahme“ (zitiert nach Lübecker Nachrichten vom 4. Juli 1975).

Das Zeitungsfoto zeigt die rund 30 Studenten mit den erschienenen Fachleuten vom Stadtplanungsamt und aus der Bürgerschaft bei sommerlichem Wetter in improvisierter Diskussionsrunde auf dem Rasen. „So kam es denn“, resümiert der Artikel lakonisch, „daß Amtsleiter Schmidt, der in seiner Behörde inzwischen als ‚Wanderprediger‘ in Sachen S4-Bericht gilt, endlich auch einmal unter freiem Himmel über die Modell-Varianten zur Sanierung der Lübecker Altstadt sprach.“

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Lübecker Nachrichten vom 5. Juni 1975