„Kleckerwirtschaft“ war das Wort, das Anfang 1969 die Runde machte. Der zwischen Stadt und Land vereinbarte Auf- und Ausbau der Medizinischen Akademie kam nicht planmäßig in Gang
Die Studentenschaft und der Lehrkörper beklagten teils unhaltbare Zustände. Der Senat und die Bürgerschaft Lübecks waren alarmiert. „An der unwürdigen Behandlung von Patienten der Medizinischen Akademie hat sich trotz zahlreicher Verbesserung in einigen Fällen gar nichts geändert“, schrieben die Lübecker Nachrichten am 21. Februar.
Ein Foto zeigte, wie Patienten in der psychiatrischen und Nervenklinik in der Baracke 5 ihre Morgengymnastik in einem engen Flur ausüben mussten. Auf einem weiteren Bild sah man, wie das Badezimmer einer der Kliniken während einiger Stunden am Tage provisorisch als „Raucher“-Zimmer hergerichtet wurde.
Auf einer Pressekonferenz informierte der Senat der Hansestadt darüber, dass Lübeck „im Verwaltungsrat mit großem Nachdruck einen wesentlich zügigeren Ausbau der Akademie“ fordern werde. Man könne den Unmut der Studenten durchaus verstehen. Die noch bestehenden Baracken-Kliniken müssten möglichst bald verschwinden, und ein Teaching-Hospital sowie ein zusätzliches Schwesternheim würden dringend benötigt.
Es müsse endlich eine Generalplanung erstellt werden. Der von Kiel auf eine Million Mark begrenzte Landesanteil an der jährlichen Bausumme (je ein Viertel Landes- und Stadtmittel und 50 Prozent vom Bund) sei nicht ausreichend. Erstmals sei in diesem Punkt jetzt allerdings ein Entgegenkommen der Landesregierung erkennbar geworden.
In der folgenden Woche gab es über die „Misere der Medizinischen Akademie“ eine lebhaft geführte Debatte in der Bürgerschaft. In seltener Übereinstimmung äußerten sich die Sprecher der drei Fraktionen und des Senats: „Lübeck kann sich die vertraglich übernommenen Verpflichtungen für Aufbau und Unterhaltung der Medizinischen Akademie nicht leisten“ (LN vom 28. Februar, S. 1).
Bürgermeister Max Wartemann erklärte, dass Lübeck zwar entschlossen sei, zum Gedeihen der Akademie eventuell noch weiter in Vorleistung zu gehen. Die für den Gesamtausbau genannten mindestens 400 Millionen Mark aber, darin bestand Einigkeit, seien eine Summe, von der ein Viertel für die Hansestadt einfach nicht zu erbringen sei. Unter Umständen könnte sich die Stadt sogar gezwungen sehen, die bestehenden Verträge zu kündigen.
Bürgerschaftsmitglied Dr. Köhn wies darauf hin, dass die geringen gegenwärtigen Mittel „im vergangenen Jahr noch nicht einmal ausgegeben worden seien. ‚Hundert Jahre wird es dauern, bis die Medizinische Akademie steht, wenn wir bei dem jetzigen Tempo von 4 Millionen bleiben‘, sagte Dr. Köhn mit einer Mischung von Humor und Schmerz“ (LN vom 28. Februar, S. 4).
Die Debatte 1969 zeigte, wie ernst es um die Akademie im fünften Jahr ihres Bestehens stand. Die Überführung aus der Trägerschaft der Stadt in die des Landes und die Verselbständigung zur Medizinischen Hochschule, die vier Jahre später stattfanden, waren bereits vorgezeichnet. Sie setzten dann den Weg für den tatsächlichen weiteren Ausbau frei.
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