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Donnerstag, 18.06.2009

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Zur Diskussion über die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung

Stellungnahme des Interdisziplinären Forschungsschwerpunkts Ethik im Spektrum der klinischen Medizin

Anlässlich des Beschlusses des Deutschen Bundestages zur gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung vom 18. Juni 2009 nimmt der Interdisziplinäre Forschungsschwerpunkt "Ethik, Recht, Geschichte und Didaktik im Spektrum der Klinischen Medizin" (Leitung: Priv.-Doz. Dr. med. Meinolfus Strätling) an der Universität Lübeck wie folgt Stellung: "Am 18. Juni hat der Deutsche Bundestag beschlossen, der Patientenverfügung eine eindeutige, gesetzliche Definition und Grundlage zu geben. Nach einem insgesamt sechsjährigen Gesetzgebungsverfahren folgte dabei eine breite Mehrheit von Abgeordneten in freier Abstimmung einem fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf, der v.a. von den Abgeordneten Joachim Stünker (SPD) und Michael Kauch (FDP) sowie von der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) eingebracht worden war.

Mit dieser Entscheidung folgt der Bundestag Empfehlungen, deren wissenschaftliche Grundlagen während der vergangenen elf Jahre maßgeblich von dem Lübecker "Interdisziplinären Forschungsschwerpunkt Ethik, Recht, Geschichte und Didaktik im Spektrum der Klinischen Medizin" erarbeitet wurden. Diese Expertengruppe ist überwiegend der Klinik für Anästhesiologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck (Direktor: Prof. Dr. med. Peter Schmucker) beigeordnet und hat damit nunmehr zum bereits wiederholten male die medizinisch-ethischen und rechtlichen Entwicklungen in Deutschland, insbesondere im Zusammenhang mit der Behandlung von einwilligungsunfähigen, von Einwilligungsunfähigkeit bedrohten sowie sterbenskranken Patienten, entscheidend mitgeprägt.

Mit dem nunmehr herbeigeführten Beschluss hat der Bundestag die i.W. bereits während der vergangenen Jahre gültige Rechtslage zu Vorausverfügungen von nicht mehr selbst entscheidungsfähigen Patienten und "Entscheidungen am Lebensende" nochmals klar gestellt. Zudem befinden sich diese Klarstellungen im Einvernehmen auch mit den zwischenzeitlich ebenfalls ergangenen Empfehlungen fast aller Expertengremien und werden auch innerhalb der allgemeinen Bevölkerung sowie der Ärzteschaft und den anderen medizinischen Berufsgruppen von breiten Mehrheiten mitgetragen.

Den bereits seit Jahren von den Lübecker Experten vertretenen Empfehlungen folgend verdeutlicht das neue Gesetz zunächst sehr detailliert, wie im Falle einer Einwilligungsunfähigkeit bzw. bei Existenz einer Vorausverfügung des Patienten konkret zu verfahren ist; beginnend mit der ärztlichen Indikationsstellung, über die Willenbildung bzw. -ermittlung des Patienten, die etwaige Organisation und Wahrnehmung seiner Stellvertretung bis hin zur abschließenden, in der Regel gemeinsamen und einvernehmlichen Entscheidungsfindung. Dabei werden insbesondere die jeweils unterschiedlichen Aufgaben vom behandelnden Arzt und etwaigen Betreuern, Vorsorgebevollmächtigten oder Angehörigen klar beschrieben. Hierdurch wird die allgemeine Rechtssicherheit mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zum 1.September 2009 deutlich erhöht.

Eine entscheidende Verbesserung der Rechtssicherheit, insbesondere für klinisch tätige Ärzte, welche ebenfalls auf die Lübeck-Kieler Initiativen zurückgeht, besteht dabei insbesondere darin, dass zukünftig lediglich bei nicht einvernehmlich zu lösenden Konfliktfällen oder bei Missbrauchsverdacht das Betreuungsgericht einzuschalten ist. Bisher war eine betreuungsgerichtliche "Routinekontrolle" faktisch aller medizinischen "Risikomaßnahmen" oder "Entscheidungen am Lebensende" bei nicht mehr selbst entscheidungsfähigen Patienten vorgeschrieben. Diese alte Regelung war einerseits zwar vollkommen unpraktikabel und realitätsfern, barg aber andererseits - bei Nichtbeachtung - potenziell auch erhebliche forensische Risiken für die behandelnden Ärzte. Mit dem Wegfall dieser alten Regelung wird nicht zuletzt aber auch sehr deutlich, dass der Gesetzgeber dem ärztlichen Berufsstand auch weiterhin durchaus großes Vertrauen entgegenbringt.

Darüber hinaus wird selbstverständlich aber auch die (auch von der verfassten Ärzteschaft längst anerkannte) Klarstellung getroffen, dass Patientenverfügungen, als Ausdruck des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts, für Ärzte und etwaige Stellvertreter des nicht mehr selbst entscheidungsfähigen Patienten (Vorsorgebevollmächtigte, Betreuer) verbindlich sind. Hierzu muss die PV lediglich in einfacher Schriftform abgefasst und von dem betroffenen Erwachsenen in noch zurechnungsfähigem Zustand unterschrieben worden sein. Notarielle Beurkundung ist nicht nötig; ebenso wenig eine Beratung, gelegentliche Aktualisierungen oder die Kombination der PV mit insbesondere einer Vorsorgevollmacht, welche gleichwohl - und durchaus zu Recht - auch weiterhin dringend empfohlen werden.

Allerdings muss die die PV hinreichend klar den Willen des Patienten in Bezug auf (i.A. die Unterlassung) möglicherweise zur Verfügung stehender, oft aber therapeutisch und prognostisch nicht mehr wirklich sinnvoller und u.U. sogar eher schädlicher Behandlungsoptionen (z.B. künstliche Ernährung, Intensivtherapie) bei den infrage kommenden Erkrankungen (z.B. Demenz oder langfristigem Koma) zum Ausdruck bringen. Dieser durchaus anspruchsvollen Forderung werden jedoch die weitaus meisten der bereits jetzt im Umlauf befindlichen Vordrucke gerecht. 

Wichtig ist weiterhin, dass es auf Art und  Stadium der Erkrankung, insbesondere auf Kriterien wie "unmittelbare Todesnähe" bzw. einen "irreversibel tödlichen Verlauf", grundsätzlich nicht ankommt. Eine Verpflichtung des Arztes zur Leistung "aktiver Sterbehilfe" ist weiterhin nicht möglich.
Durch alle diese nunmehr unmissverständlich klargestellten "Wirksamkeitserfordernisse" der PV, die ebenfalls erstmals in den aus Lübeck stammenden Empfehlungen umfassend und detailliert unter gleichermaßen medizinischen, ethischen und rechtlichen Gesichtspunkten erörtert und befürwortet wurden, wird zukünftig ermöglicht, dass Patienten subjektiv nicht gewünschte Behandlungen verlässlich bereits weit im Vorfeld von chronischen und / oder progredienten sowie sehr belastenden Krankheitsbildern mit meist sehr schlechter Prognose und Lebensqualität rechtskräftig verweigern können (insbesondere um sich selbst einen langen und oft auch als unverhältnismäßig belastend empfundenen Leidens- und Sterbeprozess zu ersparen), obwohl diese Erkrankungszustände, bei entsprechender "Maximalversorgung", oft relativ lange (im dann allerdings selbst i.A. handlungs- und meist auch kommunikationsunfähigen Zustand des Patienten) überlebt werden könnten (wiederum v.a. z.B. Demenz und Koma).

Anstelle der Fokussierung auf eine möglichst lange Erhaltung des Lebens hat in dieser Situation dann die kompetent palliativmedizinisch zu flankierende Linderung des Leidens- und Sterbeprozesses in den Vordergrund zu treten.

Auch die Notwendigkeit vertrauensvoller und wahrhaftiger Kommunikation zwischen allen Beteiligten wird schließlich eingehend erörtert. Dies erscheint um so wichtiger, als dass bis in die jüngste Vergangenheit hinein viele Kontroversen in Bezug auf die PV nicht nur als Ausdruck des legitimen Wertepluralismus in unserer Gesellschaft aufzufassen sind, sondern häufig auch nur zu deutlich illustrieren, wie weit verbreitet, leider gerade auch im ärztlichen Bereich, offenkundig noch immer Unwissen, Unsicherheiten und Missverständnisse im Bezug auf den praktischen Umgang mit Vorausverfügungen von Patienten sowie insbesondere den Rahmenbedingungen der Zulässigkeit oder gar Gebotenheit medizinischer Behandlungsbegrenzungen am Ende des Lebens sind.

Vor diesen Hintergründen kann die nun erreichte gesetzliche Klarstellung als ein sehr wichtiger und begrüßenswerter "Etappenerfolg" für Ärzte und Patienten gleichermaßen angesehen werden. Zu dessen Verstetigung in der Praxis werden jedoch auch weiterhin enge interdisziplinäre Kooperation, vertrauensvolle Kommunikation mit den Patienten und allen anderen Beteiligten, Respekt und Toleranz sowie nicht zuletzt auch die ungeteilte Aufmerksamkeit und das Engagement der Ärzteschaft gefordert sein."

(Priv.-Doz. Dr. med. Meinolfus Strätling, Lübeck, und Dr. med. V. Edwin Scharf, Kiel, für den "Interdisziplinären Forschungsschwerpunkt Ethik, Recht, Geschichte und Didaktik im Spektrum der klinischen Medizin", Prof. Dr. Peter Schmucker, Direktor der Universitätsklinik für Anästhesiologie Lübeck)

Priv.-Doz. Dr. med. Meinolfus Strätling

Priv.-Doz. Dr. med. Meinolfus Strätling