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Sonntag, 15.12.2019

Forschung

Wirkt das Hautkrebsscreening?

Hautkrebsscreening (Foto: © Adobe Stock / M. Dörr & M. Frommherz)

Lübeck-Hamburger Projekt "Pertimo" erarbeitet eine wissenschaftlich fundierte und gleichzeitig praktikable Evaluation der Früherkennung

Im Jahr 2008 wurde das nationale Hautkrebsscreening für alle gesetzlich Versicherten ab 35 Jahren eingeführt. Viele Millionen Deutsche haben schon daran teilgenommen. Ob das Screening aber die erwünschten Wirkungen zeigt und wie es wirkt, ist bis heute nicht klar. Dieser Frage geht nun ein Team von Wissenschaftlern der Universitäten Lübeck (Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Prof. Dr. Alexander Katalinic, Konsortialführung) und Hamburg (UKE, Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen, Prof. Dr. Matthias Augustin) nach. Das Projekt „Pertimo“ wird vom Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschuss mit rund 516.000 Euro für zwei Jahre gefördert.

Dem Titel des Projekts entsprechend – Pertimo steht für „Perspektiven einer multimodalen Evaluation der Hautkrebsfrüherkennung“ – geht es darum, verschiedene optimierte Ansätze zur Bewertung der Hautkrebsfrüherkennung in Deutschland zu entwickeln und zu erproben. Mit diesen Methoden soll in Zukunft überprüft werden können, ob der Nutzen des Screenings den Schaden überwiegt.

Ziel des Screenings ist, dass früher entdeckte Hauttumoren besser therapiert werden können und sich dadurch die Sterblichkeit senken sowie die Lebensqualität verbessern lässt. Potenzielle Schäden sind demgegenüber verdächtige Befunde, die sich bei der diagnostischen Abklärung als harmlos herausstellen; bis zu diesem Ergebnis können sie für den Betroffenen psychisch belastend sein. Einen anderen Schaden stellen die Überdiagnosen dar. Das sind Krebsdiagnosen, die ohne die Früherkennung niemals gestellt worden wären, etwa sehr langsam wachsende bösartige Veränderung bei hochbetagten Menschen. Außerdem wollen die Wissenschaftler Methoden der Gesundheitsökonomie einsetzen, mit den sich die Kosten des Screenings besser erfassen lassen.

„Das Hautkrebsscreening kostet jedes Jahr mindesten 150 Millionen Euro. Da sollten wir schon wissen, ob es wirkt und wo es verbessert werden kann“, betont Prof. Dr. Alexander Katalinic von der Universität zu Lübeck. „Es existieren viele Datenquellen zum Hautkrebs und neue Auswertungsmethoden, die zur Beurteilung des Screenings herangezogen werden können. Diese können wir nun mit der Förderung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss endlich gezielt nutzen“.  

Prof. Dr. Matthias Augustin vom UKE weist darauf hin, dass es unter den jetzigen Bedingungen auch weitgehend unklar sei, was denn beim Hautkrebsscreening in der Versorgungsrealität genau passiert. „Zwar wird im Prinzip jede Früherkennungsmaßnahme dokumentiert. Doch diese Daten sind lückenhaft. So ist es beispielsweise nicht einmal möglich, eindeutig zu entscheiden, ob jemand, der vom Dermatologen untersucht wurde, vorher schon einmal vom Hausarzt untersucht wurde.“ Auf dieser Basis sei es auch nicht möglich, grundlegende wichtige Prozessparameter wie eine Teilnahmerate für das Screening zu bestimmen.

Im Projekt werden nun weitere Daten von Krebsregistern, Abrechnungsdaten der kassenärztlichen Vereinigung und anonymisierte Patienten-/ Gesundheitsdaten der DAK-Gesundheit herangezogen und wissenschaftlich ausgewertet.

In zwei Jahren wollen die Forscher dann konkrete Empfehlungen für eine wissenschaftlich fundierte und gleichzeitig praktikable Evaluation der Hautkrebsfrüherkennung vorlegen. Auf dieser Grundlage kann entschieden werden, wie das Hautkrebsscreening weiter verbessert werden kann.

Hintergrund

Bislang ist die Studienlage zur Wirksamkeit des Hautkrebsscreenings beschränkt. Die positiven Erwartungen, die mit der Einführung verbunden waren, gründen sich im Wesentlichen auf die Ergebnisse des einjährigen SCREEN-Projekts (Cancer Research to Provide Evidence for Effectiveness of Screening in Northern Germany), das 2003/04 in Schleswig-Holstein durchgeführt wurde. Damals haben sich rund 360.000 Frauen und Männer in Schleswig-Holstein einer visuellen ärztlichen Ganzkörperuntersuchung unterzogen. Bereits diese Intervention wurde von den beteiligten Wissenschaftlern in mehreren Studien evaluiert.

Wichtigster Befund war, dass die Sterblichkeit am schwarzen Hautkrebs in Schleswig-Holstein in Folge des Projekts deutlich zurückging, während sie in Vergleichsregionen (Dänemark, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Niedersachsen) stabil blieb. Doch die Interpretation dieses Befundes ist schwierig, da es sich um bevölkerungsbezogene, so genannte „ökologische“ Beobachtungsdaten handelt, die andere Einflüsse für den Rückgang nicht sicher ausschließen können. Eine randomisiert kontrollierte Studie, die als härtester Nachweis für die Wirksamkeit einer Intervention gilt, wurde in Deutschland wie auch international nie durchgeführt. Trotz dieser positiven Hinweise ist es unklar, ob das aktuell laufende Hautkrebsscreening wirksam ist und ob Nutzen und Schaden in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.

Die Lübecker Arbeitsgruppe des Projekts: Dr. Dr. Joachim Hübner, Prof. Dr. Alexander Katalinic, Maren Rohr, Hannah Baltus (v.l.n.r.; nicht anwesend: Dr. Nora Eisemann; Foto: Pertimo)