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Dienstag, 20.06.2017

Forschung

Unerwarteter Selbstverteidigungsmechanismus in Archaeen

Eine künftige Alternative zu Antibiotika im Kampf gegen bakterielle Infektionserkrankungen?

Einzeller verfügen über einen bisher unbekannten Selbstverteidigungsmechanismus gegenüber viralen Eindringlingen. Dies haben Biochemiker und Strukturbiologen aus Lübeck, Regensburg und München herausgefunden. Die Forschungsergebnisse wurden jetzt in der renommierten Wissenschaftszeitschrift „Nature Microbiology“ veröffentlicht.

Für alle Organismen ist eine effiziente Abwehr viraler Infektionen überlebenswichtig. In Menschen und Tieren wird dieser Prozess vor allem durch ein leistungsfähiges Immunsystem gewährleistet, welches aus verschiedenen spezialisierten Zellen besteht. In Organismen, die nur aus einer einzigen Zelle bestehen, ist dies nicht möglich. In die letzte Gruppe fallen zum Beispiel die Archaeen.

Forscher konnten jetzt die dreidimensionale Struktur des Argonautenproteins aus dem archaeellen Organismus Methanocaldococcus jannaschii aufklären. Argonautenproteine sind die Schlüsselkomponenten eines Systems zur Genregulation. Sie sind in die Regulation von etwa 30 Prozent aller humanen Gene involviert. Diese Gene spielen u.a. eine Rolle in wichtigen Prozessen des Körpers wie zum Beispiel der Blutbildung und der Entwicklung des Embryos. Kommt es zu Störungen dieser komplexen Prozesse, sind neurodegenerative, chronisch entzündliche und Autoimmunerkrankungen bis hin zu Krebs die Folge.

Archaeen, früher auch Archaebakterien, Archebakterien oder Urbakterien genannt, bilden neben den Bakterien (Bacteria) und den Eukaryoten (Eukaryota) eine der drei Domänen, in die alle zellulären Lebewesen eingeteilt werden. Die in der Zeitschrift „Nature Microbiology“ veröffentlichten Ergebnisse stammen aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Tobias Restle am Institut für Molekulare Medizin der Universität zu Lübeck und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, in enger Kooperation mit Forschern um Dr. Sarah Willkomm und Prof. Dr. Dina Grohmann (Universität Regensburg, Lehrstuhl für Mikrobiologie) und Dr. Sabine Schneider von der Technischen Universität München (Lehrstuhl für Biochemie). Die Forscher konnten nachweisen, dass das Argonautenprotein des archaeellen Organismus den Abbau fremder doppelsträngiger Desoxynukleinsäuren (DNA), wie sie zum Beispiel in Viren vorkommen, katalysieren kann.

Argonautenproteine kommen ubiquitär vor, d.h. von den einfachsten Bakterien bis hin zum Menschen. Beim Menschen dienen sie nach jetzigem Kenntnisstand hauptsächlich der Regulation von Genen. Fehlfunktionen dieses Regulationsmechanismus haben oft schwerwiegende pathologische Konsequenzen. Interessanterweise dienen sie beispielsweise in Würmern und verschiedenen Pflanzen auch der Verteidigung gegen eindringende Viren. Jüngste Forschungsresultate zeigen, dass die einzelligen Archaeen direkte Vorfahren der Eukaryoten, d.h. auch des Menschen, sein könnten. Ein Vertreter der Archaeen ist der hyperthermophile Organismus Methanocaldococcus jannaschii, der nur bei sehr hohen Temperaturen (um die 85 Grad Celsius) in Abwesenheit von Sauerstoff wächst und mit seinen extremen Lebensbedingungen und in seiner Beschaffenheit eher einem Bakterium als einem eukaryotischen Organismus ähnelt.

Eine Theorie besagt, dass Eukaryoten das Argonautenprotein aus einem euryarchaeellen Organismus erhalten haben. Dies macht die Erforschung des Argonautenproteins Methanocaldococcus jannaschii umso interessanter, da neben Informationen über das archaeelle Protein auch Rückschlüsse über die entsprechenden Vertreter in Eukaryoten und die Evolution dieser Proteinfamilie gezogen werden können. Ein Vergleich der dreidimensionalen Strukturen der Argonautenproteine von Methanocaldococcus jannaschii und dem menschlichen Pendant enthüllte erstaunliche strukturelle Ähnlichkeiten.

Detaillierte biochemische Untersuchungen zeigten jedoch auch große Unterschiede bezüglich Funktion und Mechanismus dieser eng verwandten Proteine. Im Gegensatz zu eukaryotischen Argonautenproteinen ist das archaeelle Protein in der Lage, fremde doppelsträngige DNA, wie sie in Viren oder eindringenden Plasmiden vorkommen, zu zerstören. Katalysiert wird dieser Prozess über kurze Nukleinsäurefragmente, die passgenau an die fremde DNA andocken.

Dieses Ergebnis war für die Forscher unerwartet und überraschend. Der archaeelle Organismus verfügt damit offensichtlich über einen besonders effizienten und anpassungsfähigen Mechanismus zur Verteidigung gegenüber viralen Eindringlingen. Inwieweit dieser Mechanismus auch für beispielsweise humanpathogene Bakterien relevant ist, müssen weiterführende Untersuchungen klären. Sollte sich diese Hypothese jedoch bestätigen, wäre es vorstellbar, die bakterielle Maschinerie durch spezifische Applikation kurzer Nukleinsäurefragmente umzuprogrammieren, so dass das eigene Genom zerstört wird. Man hätte somit eventuell in der Zukunft eine Alternative zu Antibiotika im Kampf gegen bakterielle Infektionserkrankungen.

Publikation:

Willkomm, S., Oellig, C.A., Zander, A., Restle, T., Keegan, R., Grohmann, D., Schneider, S. (2017) Structural and mechanistic insights into an archaeal DNA-guided Argonaute protein. Nature Microbiology 2, 17035

Im Vordergrund die 3D-Struktur des untersuchten Proteins (Argonautenprotein), im Hintergrund eine rasterelektronenmikroskopische Aufnahme des archaeellen Organismus Methanocaldococcus jannaschii (Bildnachweis: Prof. Dr. Gerhard Wanner; künstlerische Ausführung: Katharina Auguste Liphardt-Willkomm) - Hinweis: Die Abbildung darf ausschließlich im Rahmen der Berichterstattung zu dieser Pressemitteilung verwendet werden.