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Donnerstag, 30.04.2020

Forschung

Umfangreiche Datenauswertung auch bei dezentraler Corona-App

Prof. Dr. Stefan Fischer

Schutz der Privatsphäre: Das Privacy-Preserving Federated Learning ist ein innovativer Ansatz für die Bekämpfung der Pandemie

Auch bei einer dezentralen Lösung einer „Corona-Tracing-App" lassen sich viele Möglichkeiten umsetzen, die Infektionsdynamik umfangreich auszuwerten. Das sagen Informatiker der Universität zu Lübeck, die mit anderen norddeutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen im Kompetenzverbund KI-SIGS für Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen zusammengeschlossen sind. Sie setzen auf die Stärken eines „Privacy-Preserving Federated Learning“.

Die Lübecker IT-Sicherheits- und KI-Experten antworten damit auf die Forcierung der Entwicklung  einer Corona-Tracing-App, mit der wichtige Daten über mögliche Infektionskontakte gesammelt werden sollen, durch die Bundesregierung. Als Beispiel für die Vorteile einer dezentralen Lösung nennen sie eine zeitnahe Analyse der Infektionsgefahr durch mangelnden Abstand nach Lockerungsmaßnahmen. Dies sei auch ohne zentrale Algorithmen zur Auswertung der Daten möglich.

Dabei bauen die Lübecker Wissenschaftler auf eine Erweiterung des sogenannten „Federated Learning”, das in seiner heutigen Form zwar schon dezentrales Lernen auf verteilten Daten ermöglicht, jedoch bis heute weitgehend ohne den nötigen Datenschutz.

Mit ihrem Ansatz des „Privacy-Preserving Federated Learning“ wollen sie die Ansätze des verteilten Lernens mit Methoden zum Schutz der Privatsphäre kombinieren. Es wäre dafür sinnvoll und wünschenswert, neben dem Contact-Tracing der aktuellen Corona-App noch weitere Funktionen anzubieten, die auf freiwilliger Basis weitere Daten des Bewegungsprofils oder des Bewegungssensors für vertrauenswürdige Berechnungen zur Verfügung stellt.

Ein dezentraler Ansatz könnte damit durch vertrauenswürdige Berechnungen weitaus interessantere Daten als ein zentraler Ansatz nutzen und damit weitreichendere Informationen über die Infektionsdynamik liefern. Für eine zeitnahe Analyse der Infektionsgefahr bspw. könnten in einem ersten Schritt verteilte, datenschutzfreundliche und verrauschte Statistiken berechnet werden, welche die Daten einzelner Nutzer in der Form von Differential Privacy Garantien – eine strenge Datenschutzdefinition aus der Forschung – schützen. Für derart geschützte Garantien gibt es einen reichen Schatz an Literatur, sodass eine zeitnahe Umsetzung realistisch ist.

In einem zweiten Schritt könnte dann das neuartige „Privacy-Preserving Federated Learning“  eine solide Basis für datenschutzfreundliche, verteilte Anwendung von KI-Methoden bieten – auch wenn die Lübecker Wissenschaftler hier noch hohen Forschungsbedarf sehen, um die Datenschutzgarantien der verteilten KI-Methoden zu stärken, damit sie verantwortungsvoll deutschlandweit ausgerollt werden können. Als ein Beispiel für die Nutzung solcher innovativer Methoden könnten einzelne Nutzer ein Simulationsmodell für Infektionsausbreitung lokal mit ihren eigenen Daten verbessern, um in einem zweiten Schritt diese Verbesserungen des Modells miteinander abzugleichen. Bei diesem Abgleich muss sichergestellt werden, dass die Verbesserungen dieses Modells nicht auf einzelne Nutzer zurückführbar sind.

Eine weitere Anwendung könnte in einer Verbesserung der Treffergenauigkeit der App liegen. Es muss vor allem in der Anfangszeit, wenn die Technik noch nicht genügend ausgereift ist, mit vielen falsch positiven Warnungen gerechnet werden, da bspw. dünne Plexiglaswände  nur schwer erkannt werden können. Unter Einbeziehung weiterer Daten in die Lernprozesse könnte die Fehlerrate noch deutlich reduziert werden, so dass unnötige Einweisungen in Quarantäne vermieden werden könnten.

„Lübeck ist zentraler Standort des KI-Flaggschiff-Projektes KI-SIGS, dem zentralen Hub in Norddeutschland für KI im Gesundheitswesen. Zusammen mit unserem neu gegründeten KI-Zentrum, in dem unsere KI-Experten eng mit den Medizinern des UKSH zusammenarbeiten, sind wir prädestiniert, künstliche Intelligenz im Kampf gegen COVID-19 zum Einsatz zu bringen”, sagt Prof. Dr. Thomas Martinetz, Co-Sprecher des Zentrums für künstliche Intelligenz an der Universität zu Lübeck.

„Die aktuelle Diskussion zeigt, wie essentiell die Vertrauenswürdigkeit von Software ist, wenn massiv persönliche Daten benutzt werden müssen. Durch die schon etablierte enge Zusammenarbeit von Sicherheits-, KI- und Telematik-Experten sind wir in Lübeck ideal aufgestellt, um vertrauenswürdige verteilte KI-Methoden für kritische Aufgaben wie der Eindämmung der COVID-19 Pandemie zu entwickeln.”, sagt Prof. Dr. Esfandiar Mohammadi, Professor für Privacy & Security an der Universität zu Lübeck.

„Die Forschung im Bereich des vertrauenswürdigen und dezentralen Lernens entwickelt sich sehr schnell. Die Diskussionen um die App zeigen einmal mehr, wie wichtig es ist, dass insbesondere im medizinischen Bereich der Datenschutz der Nutzerinnen und Nutzer ernst genommen wird. Durch die Einbindung von Forschern an der Schnittstelle von KI, IT-Sicherheit und Telematik kann es gelingen, auch ohne einen zentralen Ansatz einen Mehrwert aus den erhobenen Daten zu gewinnen, ohne dass die Privatheit der einzelnen Nutzerinnen und Nutzer beeinträchtigt wird. So können sowohl die Akzeptanz der Technologie gesichert werden als auch der Nutzen der Daten optimiert werden" fügt Prof. Dr. Thomas Eisenbarth, Direktor des Instituts für IT-Sicherheit der Universität zu Lübeck hinzu.

Und Prof. Dr. Stefan Fischer, Vizepräsident der Universität zu Lübeck und Direktor des Instituts für Telematik: „Wir sehen den von der Bundesregierung eingeschlagenen Weg einer dezentral operierenden Corona-App als den richtigen an, plädieren aber unbedingt dafür, die App noch deutlich weitgehender als bisher geplant zu nutzen. Die Universität zu Lübeck sieht sich mit ihrem Zentrum für Künstliche Intelligenz und dem norddeutschen Leuchtturm-Institut für IT-Sicherheit hervorragend aufgestellt, um sich führend an der Entwicklung innovativer IT-Lösungen zur Bekämpfung von COVID-19 zu beteiligen“.

Prof. Dr. Thomas Martinetz

Prof. Dr. Thomas Eisenbarth

Prof. Dr. Esfandiar Mohammadi