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Montag, 23.08.2021

Forschung

Tanzyten: Der gesteuerte Energiehaushalt

Forscherinnen und Forscher haben herausgefunden, dass Tanzyten Übergewicht entgegen wirken

Wer übergewichtig ist, oder zu den Diabetes-Patienten oder –Patientinnen gehört, muss davon ausgehen, dass der Energiehaushalt des Körpers gestört ist. Für die Kontrolle des Stoffwechsels ist das Gehirn zuständig. Bislang wenig verstanden war, wie das Gehirn über die Stoffwechsellage im Körper informiert wird. Wie arbeiten Stoffwechsel und Gehirn zusammen? Eine europäische Forschergruppe konnte nun herausfinden, dass es Glukose ist, die durch das Abbauprodukt Milchsäure auf die Gehirnfunktion wirkt. Die Erkenntnisse könnten die Grundlage liefern für eine bessere Behandlung von Stoffwechselerkrankungen.

Übergewicht und Diabetes haben weltweit ein epidemisches Ausmaß angenommen. Dabei ist ein sich oft wiederholender Ablauf zu beobachten: Eine vermehrte Nahrungsaufnahme führt zu Übergewicht und kann zu Diabetes führen. Im Rahmen von Diabetes kann es wiederum zu einer Entgleisung des Blutzuckers, der Glukose, kommen. Dabei gibt es Zellen, die dem Übergewicht entgegenwirken: Tanzyten.

Für die Kontrolle dieses Stoffwechselvorgangs ist das Gehirn zuständig. Der Hypothalamus ist die Region des Gehirns, die den Stoffwechsel steuert. Bei dieser Aufgabe helfen spezialisierte Zellen, Tanyzyten, die im Hypothalamus die Grenze zwischen Blutbahn und Gehirn bilden. Der Forschungsverbund WATCH aus Lille, Frankreich, der Universität Santiago, Spanien, und der Universität zu Lübeck hat aufgeklärt, dass eben diese Tanyzyten ausschlaggebend für alles weitere sind: Sie bauen Glukose zu Milchsäure ab. Milchsäure, auch Laktat genannt, spielt eine zentrale Rolle für die Funktion der Nervenzellen, die den Energiehaushalt dirigieren. Tanyzyten sind nach diesen Befunden zentrale Vermittler zwischen Stoffwechsel und Nervenzellen. „Eine Unterbrechung der Laktatfreisetzung aus Tanyzyten beeinflusst den Energiehaushalt des gesamten Organismus“ ist sich die Wissenschaftlerin Tori Lhomme, aus Lille sicher.

Tanyzyten wirken Übergewicht entgegen, indem sie Laktat an das Gehirn abgeben, wie Ruben Nogueiras erläutert. Der Wissenschaftler Markus Schwaninger vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität zu Lübeck, ergänzt, dass die Aufklärung der Tanyzytenfunktion in der Studie durch virale Vektoren gelang, die möglicherweise auch für die Gentherapie von Stoffwechselerkrankungen Anwendung finden könnten. Auf diese Weise konnte in dieser Studie erstmals nachgewiesen werden, wie Tanyzyten und Nervenzellen auf molekularer Ebene zusammenarbeiten, so Vincent Prevot, der Leiter der Studie in Lille.

Die Ergebnisse könnten die Grundlage liefern für eine bessere Behandlung von Stoffwechselerkrankungen. Zunächst hat die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen drei Forschungszentren, die mit Geldern des Europäischen Forschungsrats finanziert wurde, geklärt, wie das Gehirn über die Stoffwechsellage im Körper informiert wird, um koordinierend einzugreifen. Die Ergebnisse der Studie wurden gerade im Journal of Clinical Investigation veröffentlicht.

Originalpublikation: Lhomme T, Clasadonte J, Imbernon M, Fernandois D, Sauve F, Caron E, Lima N, Heras V, Martinez-Corral I, Müller-Fielitz H, Rasika S, Schwaninger M, Nogueiras R, Prevot V (2021) Tanycytic networks mediate energy balance by feeding lactate to glucose-insensitive POMC neurons. J Clin Invest

Tanyzyten (hier abgebildet im Gehirn von Mäusen). Foto: Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Universität zu Lübeck