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Freitag, 28.09.2012

Forschung

Stephan-Weiland-Preis für Johannes Textor

Kausaler Graph zu einer Studie des Einflusses von Aufwärmübungen auf das Verletzungsrisiko beim Sport mit Markierung des zu untersuchenden kausalen Effekts (Grün) sowie der Einflüsse von Störfaktoren (Rot)

Kooperation des Instituts für Theoretische Informatik und des Instituts für Sozialmedizin vereint informatische Theorie und epidemiologische Praxis

Dr. Johannes Textor, der 2011 an der Lübecker Universität promoviert wurde, hat für seine Arbeiten zur Kausalitätstheorie von der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi) den Stephan-Weiland-Preis erhalten. Der mit 1.000 Euro dotierte 1. Preis wurde am 27. September 2012 auf der Jahrestagung der DGEpi in Regensburg verliehen. Die 2. und 3. Preise gingen an Anja Rudolph und Ute Mons vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

Die Epidemiologie beschäftigt sich mit den Ursachen und der Verbreitung von Volkskrankheiten und ist im Gegensatz zu experimentellen Wissenschaften wie der Biologie darauf angewiesen, aus passiven Beobachtungen Rückschlüsse auf kausale Prozesse ziehen zu können. Ein grundlegendes Problem hierbei sind sogenannte Störfaktoren, durch die Zusammenhänge erzeugt werden, die nicht auf eine Ursache-Wirkungs-Beziehung beruhen (Scheinkorrelationen); zum Beispiel erzeugt der Störfaktor "Rauchen" einen Zusammenhang zwischen Kaffeekonsum und Lungenkrebsrisiko.

Die Kausalitätstheorie von Judea Pearl ist ein neuartiger Ansatz zur Lösung dieses Problems, für die Pearl im letzten Jahr den Turing-Award erhalten hat - die höchste wissenschaftliche Auszeichnung in der Informatik vergleichbar mit dem Nobel-Preis. Vorwissen wird hierbei als ein grafisches Netzwerk aus bestehenden Ursache-Wirkungs-Beziehungen dargestellt. Anhand dieses Netzwerks lassen sich Störfaktoren identifizieren und herausrechnen.

In der Praxis können solche kausalen Netzwerke sehr komplex werden. In Zusammenarbeit mit Prof. Maciej Liskiewicz entwickelte Dr. Textor am ITCS effiziente algorithmische Verfahren, mit denen auch derart schwierige Netzwerke in Echtzeit analysiert werden können. Um diese Ergebnisse für die epidemiologische Forschung direkt nutzbar zu machen, implementierte er in Zusammenarbeit mit Juliane Hardt vom Institut für Sozialmedizin und Sven Knüppel vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (Potsdam) das online frei verfügbare Werkzeug "DAGitty". Basierend auf den theoretischen Forschungsergebnissen stellt DAGitty eine benutzerfreundliche grafische Oberfläche zur Konstruktion und Analyse kausaler Netzwerke bereit, und macht somit die Kausalitätstheorie einer breiten Anwenderschaft aus Forschern und Studenten der Epidemiologie zugänglich. Das Werkzeug kommt mittlerweile international in der epidemiologischen Forschung und Lehre zum Einsatz. Die theoretischen und praktischen Ergebnisse des Forschungsprojekts wurden in der Zeitschrift "Epidemiology" sowie auf der renommierten Informatikkonferenz "Uncertainty in Artificial Intelligence" (UAI 2011, Barcelona) veröffentlicht.

Dr. Johannes Textor, 1979 in Göttingen geboren, studierte Informatik mit Anwendungsfach Medizinische Informatik an der Lübecker Universität und promovierte 2011 bei Prof. Rüdiger Reischuk im Institut für Theoretische Informatik. Seine Doktorarbeit mit dem Titel "Search and Learning in the Immune System: Models of Immune Surveillance and Negative Selection" wurde mit dem Prädikat „summa cum laude“ sowie dem Dissertationspreis 2011 der Deutschen Gesellschaft für Informatik (GI) ausgezeichnet. Sie wird außerdem diese Woche mit dem Universitätspreis prämiert.

Seit September 2011 arbeitet Dr. Textor als Postdoktorand an der Universität Utrecht (Niederlande) im Institut für Theoretische Biologie und Bioinformatik unter der Leitung von Prof. Rob de Boer.

Die deutsche Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi) ist eine unabhängige wissenschaftliche Fachgesellschaft, die in Deutschland das Fach Epidemiologie in Forschung und Lehre vertritt. Die DGEpi hat aktuell etwa 600 Mitglieder.

Dr. Johannes Textor (links) mit Prof. Hajo Zeeb, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie, bei der Preisverleihung in Regensburg