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Mittwoch, 13.06.2001

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Sonderforschungsbereich 367: Von der Molekülanalyse zur klinischen Therapie

Entzündungsprozesse stehen im Mittelpunkt Lübecker Forschungen

Warum werden wir krank? Warum lassen uns schleichende Abbauprozesse im Alter langsamer denken, schneller vergessen, schlechter bewegen und leichter ermüden? Warum sorgt eine Entzündung bei dem einen dafür, dass ungebetene Eindringlinge wie Viren oder Bakterien erfolgreich bekämpft werden, bei dem anderen ist sie jedoch Auslöser für eine schwere, mitunter lebensbedrohliche Erkrankung? Fragen, mit denen sich Wissenschaftler und Kliniker der Medizinischen Universität Lübeck (MUL) seit einigen Jahren schwerpunktmäßig in einem Sonderforschungsbereich (SFB 367: "Molekulare Mechanismen entzündlicher und degenerativer Prozesse") beschäftigen.

Gemeinsam mit dem Forschungszentrum Borstel und der Rheumaklinik Bad Bramstedt werden an verschiedenen MUL-Kliniken und -Instituten Krankheitsbilder wie Osteoporose, Arthritis, Tuberkulose oder Arteriosklerose auf ihre degenerativen und entzündlichen Ursachen untersucht. Besonderer Vorteil dieser gelungenen Vernetzung: Der Weg aus den Forschungslabors ans Krankenbett ist extrem kurz; die Patienten profitieren unmittelbar von den in der Region gewonnenen Erkenntnissen.

Bestes Beispiel: Nirgendwo sonst in Deutschland können Patienten mit einer speziellen Rheumaform, der Vaskulitis, so effektiv diagnostiziert und behandelt werden wie in Lübeck bzw. Bad Bramstedt. Unter Leitung von Prof. Wolfgang L. Gross, in Personalunion Direktor der MUL-Rheumatologie und der Bramstedter Rheumaklinik sowie Vorstandsmitglied im SFB, hat sich in den vergangenen Jahren ein inzwischen international bekanntes und preisgekröntes Zentrum etabliert, das Anlaufstelle selbst für weit gereiste Patienten geworden ist.

Als Vaskulitiden werden entzündliche Veränderungen an den Gefäßen bezeichnet, die Gelenkbeschwerden verursachen und vor allem innere Organe wie Herz, Lunge oder Niere sowie das zentrale Nervensystem befallen. Eine spezielle Form der Vaskulitis ist die Wegenersche Granulomatose, die 1935 erstmals von dem Lübecker Pathologen Friedrich Wegener beschrieben wurde. Starben noch in den 70er Jahren 80 Prozent der Patienten an den meist schwer wiegenden Vaskulitiden, können heute in kurzer Zeit über 90 Prozent der Betroffenen gerettet werden, wenn die Behandlung frühzeitig einsetzt.

"In den letzten Jahren haben wir viele seltene Rheumaformen gesehen, die die Basis für eine Reihe von Forschungsvorhaben innerhalb unseres SFBs sind", erläutert Prof. Gross. Dadurch haben sich immer wieder Möglichkeiten ergeben, Ergebnisse aus der Molekularforschung, die u.a. in Borstel oder den MUL-Instituten für Physiologie (Leitung: Prof. Wolfgang Jelkmann) und Mikrobiologie (Leitung: Prof. Werner Solbach) erzielt wurden, direkt an den Patienten weiter zu geben. Prof. Gross: "Diese Art der anwendungsorientierten und patientennahen Forschung ist Basis unseres SFBs."

Ein zweites Beispiel für die enge Verzahnung von molekularer Analyse und unmittelbarer klinischer Anwendung liefert der Urologe Prof. Andreas Böhle: In Lübeck werden Patienten mit bestimmten Formen des Harnblasenkarzinoms durch Injektion mit abgeschwächten Tuberkulosebakterien behandelt. Diese lösen eine massive Entzündung in der Blase aus, in dessen Folge so genannte Killerzellen aktiviert werden, die das tumoröse Gewebe zerstören sollen. Therapieerfolge werden zunehmend deutlicher - letztlich ein Resultat der intensiven Erforschung molekularer Abläufe, die Prof. Böhle mit seiner Arbeitsgruppe am Forschungszentrum Borstel vornimmt.

Ähnlich ist die klinische Ausrichtung des Mikrobiologen Prof. Matthias Maaß zu sehen. Er beschäftigt sich mit der Frage, ob und in wie weit die Arteriosklerose - ein wesentlicher Grund für die Entstehung eines Herzinfarktes - durch das Bakterium Chlamydia pneumoniae entsteht oder fortschreitet. Wenn das so wäre, könnte man möglicherweise den Herzinfarkt durch vorbeugende Antibiotikagabe verhindern.

Schließlich ist die Entschlüsselung der Blutvergiftung (Sepsis) bzw. des septischen Schocks ein weiterer Schwerpunkt "Eine Sepsis ist die häufigste Todesursache auf operativen Intensivstationen. Mindestens jeder zehnte Intensivpatient ist davon betroffen; die Sterblichkeit bei der schwersten Form der Sepsis, dem septischen Schock, liegt bei bis zu 90 Prozent", erläutert Prof. Ernst Theodor Rietschel, geschäftsführender Direktor des Forschungszentrums Borstel und Sprecher des SFB 367. Jährlich sind seinen Angaben zufolge in Deutschland rund 200 000 ältere Patienten, Unfall- oder Verbrennungsopfer sowie frisch Operierte von einer Sepsis betroffen - jeder vierte Intensivpatient überlebt die Infektion nicht, so Rietschel.

Bei einer Sepsis dringt eine große Zahl Bakterien in den Blutkreislauf, vermehrt sich dort und scheidet bestimmte Gifte (Toxine) aus. Diese werden mit dem Blut zu den einzelnen Organen geschwemmt und beginnen dort ihr zerstörerisches Werk. Es kommt zu hohem Fieber, Schüttelfrost und deutlich beeinträchtigtem Allgemeinbefinden. Im schlimmsten Fall erleiden die Patienten innerhalb weniger Stunden einen Ausfall mehrerer Organe, was schließlich zum Tod führt.

Noch kann man den Betroffenen kaum helfen: Antibiotika, künstliche Beatmung, Stabilisierung des Kreislaufs und - wenn der Sepsisherd ausfindig gemacht werden konnte - eine möglichst rasche chirurgische Beseitigung der Entzündungsursache sind nur bedingt erfolgreich. Der Behandlungsansatz der Borsteler Forscher geht deshalb weiter ins Detail: Die Wissenschaftler ergründen, was auf molekularer Ebene im Verlaufe einer Blutvergiftung passiert, um mit diesem Wissen geeignete neue Behandlungsstrategien zu entwickeln.

Von besonderer Bedeutung ist hier das Endotoxin; ein Giftstoff, der von den Bakterien produziert wird. Bei gesunden Menschen wehrt sich das körpereigene Immunsystem im Verlauf einer harmlosen Entzündung erfolgreich gegen das Endotoxin. Mehr noch: Der menschliche Organismus profitiert sogar von dieser Attacke und wird widerstandsfähiger gegen bakterielle und virale Infektionen. Bei einer Sepsis jedoch, bei der die Bakterien in großer Zahl auf den Organismus einwirken, wird das Endotoxin zur tödlichen Bedrohung: "Bei schweren Infektionen können sich große Mengen von Endotoxin im Blut anreichern und lebensbedrohliche Schockzustände auslösen. Wenn der Kreislauf versagt, büßen Zellen überall im Organismus ihre Funktionstüchtigkeit ein und sterben schließlich ab", so Rietschel.

Den Forschern ist es gelungen, die Strukturen des Endotoxin vollständig zu analysieren und entsprechende Antikörper zu entwickeln. Mit der Gabe dieser Antikörper als Medikament, so die Hoffnung der Wissenschaftler, lässt sich der lebensbedrohliche Entzündungsprozess stoppen. Von einer Heilung der Sepsis ist man noch weit entfernt, doch geht der in Borstel entwickelte Antikörper laut Rietschel jetzt in eine klinische Phase-1-Studie.

In die Suche nach molekularen, mikrobiologischen, immunologischen und biochemischen Ursachen entzündlicher und degenerativer Erkrankungen wird auch der wissenschaftliche Nachwuchs einbezogen: Seit vier Jahren besteht in Lübeck und Borstel das von Prof. Jelkmann geleitete Graduiertenkolleg "Strukturen und Mediatoren der Zellinteraktion", das sich eng an den SFB anlehnt. Junge Doktoranden - die zu rund 40 Prozent aus dem Ausland stammen - können hier unter sach- und fachkundiger Leitung wichtige Forschungsergebnisse beisteuern und innerhalb von drei Jahren eine qualitativ hochwertige Dissertation erarbeiten.

"Infektion und Entzündung" lautet das Thema eines bundesweiten Treffens von Sonderforschungsbereichen und Graduiertenkollegs, das vom 14. - 16. Juni 2001 in Lübeck stattfindet. Zu der Veranstaltung, die erstmals in dieser Form stattfindet und von Prof. Jelkmann organisiert wird, kommen etwa 100 Wissenschaftler aus den führenden Forschungsgruppen Deutschlands an die MUL. Tagungsbeginn ist am Freitag, 15. Juni, um 8.30 Uhr.

Uwe Groenewold

Weitere Informationen für Journalisten:
Prof. Wolfgang Jelkmann, Institut für Physiologie der MUL, Tel.: 0451/500 4152, Fax: 0451/500 4151. Email: jelkmann@physio.uni-luebeck.de