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Mittwoch, 07.08.2019

Forschung

Schleimhautpemphigoid: In Lübeck endlich die richtige Diagnose und Therapie gefunden

Patient Martin Romberger (Mitte), Prof. Dr. Detlef Zillikens (rechts) und Assistenzarzt Dr. Sören Dräger (Foto: René Kube / Universität zu Lübeck)

Forschung für eine wirksamere Behandlung - Auf dem Lübecker Campus entsteht das weltweit erste Forschungszentrum zu chronisch entzündlichen Erkrankungen der Haut

Stefanie Gärtner (87) aus Hannover, Martin Romberger (53) aus Kassel und Dr. Wilhelm Schütte (71) aus Braunschweig: sie alle leiden an unterschiedlichen Ausprägungen derselben seltenen Krankheit, dem Schleimhautpemphigoid, einer chronisch entzündlichen Blasenbildung auf Schleimhäuten. Sie alle haben eine lange Suche nach der richtigen Diagnose und der geeigneten Behandlung hinter sich, bevor sie diese in der Universitätshautklinik in Lübeck fanden.

Die Forschung zu den Ursachen der Erkrankung und neuen Therapieansätzen ist einer der Schwerpunkte von Prof. Dr. Detlef Zillikens, der die Klinik leitet, und seinem Team. Sie sind damit, zusammen mit Forscherinnen und Forschern weiterer Kliniken und Universitätsinstitute in Lübeck, der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, des Forschungszentrums Borstel der Leibniz-Gemeinschaft und des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön, Teil des Exzellenzclusters der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen (Precision Health in Schleswig-Holstein, PHSH).

Forschungsneubau für das CRIS


Die bisherigen Forschungserfolge haben dazu geführt, dass in Lübeck das weltweit erste Forschungszentrum zu chronisch entzündlichen Hauterkrankungen entsteht, das Center for Research on Inflammation of the Skin (CRIS). 2017 hatte der Wissenschaftsrat, das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium in Deutschland, die Errichtung des Zentrums bewilligt. Für knapp 25 Millionen Euro entsteht jetzt zentral auf dem Lübecker Campus ein fünfgeschossiger Forschungsneubau für das CRIS mit 3.048 Quadratmetern Nutzfläche, der 2022 fertig sein soll. Am 15. Juli dieses Jahres war der feierliche erste Spatenstich.

140 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sechs Instituten und zwei Kliniken der Universität und des Universitätsklinikums in Lübeck werden im CRIS fächerübergreifend forschen. Wissenschaftliches Ziel ist die Aufklärung der molekularen Mechanismen der Entstehung von Entzündungen der Haut und die Entwicklung innovativer und kurativer Konzepte für ihre Behandlung. Beteiligte Arbeitsgruppen kommen aus der Immunologie, der Rheumatologie, der Biostatistik, der Systemmedizin, der Pharmakologie, der Anatomie und der Biomedizinischen Optik auf dem Lübecker Campus. Innerhalb des Exzellenzclusters bestehen enge Kooperationen zur Hautklinik und Gastroenterologie in Kiel und zum Max-Planck-Zentrum in Plön.

Chronisch entzündliche Blasenbildung auf den Schleimhäuten

Das Schleimhautpemphigoid (griechisch „pemphix“ bedeutet Blase) gehört zu den chronisch verlaufenden Blasen bildenden Autoimmunerkrankungen. Ihnen liegt eine gestörte Toleranz des Immunsystems gegenüber dem eigenen Körper zugrunde. In westlichen Ländern sind etwa fünf Prozent der Bevölkerung von einer Autoimmunkrankheit betroffen, die häufigsten sind Schuppenflechte, rheumatoide Arthritis und autoimmune Schilddrüsenerkrankungen. Autoimmunerkrankungen sind bisher unzureichend verstanden und nicht kausal behandelbar; sie bleiben oft lebenslang bestehen und können entzündungshemmend oder immunsuppressiv behandelt werden, um die Beschwerden zu lindern oder die Zerstörung der betroffenen Organe aufzuhalten.

Charakteristisch und namengebend für die verschiedenen Formen des Schleimhautpemphigoids ist die überwiegende Beteiligung der Schleimhaut. Die Ausdehnung der Hautveränderungen und somit die Schwere der Erkrankung sind von Patient zu Patient unterschiedlich stark ausgeprägt. Durch die häufig schmerzhaften Mundschleimhautveränderungen kommt es häufig zu Schwierigkeiten beim Essen und in Folge zur Gewichtsabnahme und allgemeinen Schwäche.

Bei den meisten Patienten beginnt die Erkrankung in der Mundschleimhaut, dies ist auch häufig die am schwersten betroffene Schleimhautregion. Bei einigen Patienten kann die Erkrankung jedoch in der Nasenschleimhaut beginnen, was sich durch Nasenbluten, Ausbildung von blutigen Krusten sowie verringerter Nasenatmung äußern kann. Bei einigen Patienten, vor allen Dingen Frauen, ist die Genitalschleimhaut am stärksten betroffen. Als weitere Schleimhäute können der Rachen, die Speiseröhre und die Schleimhaut am After betroffen sein. In den Schleimhäuten zerreißen Blasen leicht und es kommt zur Ausbildung von meist schmerzhaften Wunden (Erosionen).

Auch die Bindehäute der Augen können betroffen sein, was zu einer Narbenbildung und im schlimmsten Fall bis zur Erblindung führen kann. Patienten mit Beteiligung der Bindehaut bedürfen daher ganz besonders dringend einer intensiven Therapie. Für die genaue Diagnosestellung sind eine Gewebeprobe und eine Blutentnahme notwendig.

Oft lange Odyssee bei seltenen Erkrankungen


Bei Stefanie Gärtner traten die Beschwerden zunächst als Zahnfleischbluten auf, dann begann sie an Augenschmerzen zu leiden. Bei Dr. Schütte sind vor allem Kehlkopf und Stimmlippen betroffen, seine Stimme klingt heiser. Wie auch Martin Romberger und durchschnittlich etwa zehn weitere Patientinnen und Patienten kommen sie alle vier Wochen für fünf Tage auf die Kurzlieger-Station der Universitätshautklinik in Lübeck. Der Verlauf der Erkrankung und die diagnostischen Werte werden kontrolliert, die medikamentöse Therapie gegebenenfalls angepasst und, falls erforderlich, Ärzte weiterer Fachgebiete einbezogen. Bei günstigem Verlauf kann später auf eine rein ambulante Behandlung umgestellt werden.

„Ich bin vor allem darüber froh, dass die Krankheit nach meiner langen Odyssee in verschiedensten Arztpraxen und Kliniken endlich in Lübeck richtig erkannt und dann zum Stillstand gebracht worden ist“, sagt Patient Dr. Wilhelm Schütte. Martin Romberger hat den entscheidenden Hinweis auf die Lübecker Klinik über eine Selbsthilfegruppe erhalten.

Für Klinikchef Prof. Dr. Detlef Zillikens ist entscheidend, dass die Behandlung möglichst früh ansetzt, um ein Übergreifen auf andere Organe verhindern zu können. „Wir versuchen, eine noch spezifischere Wirkweise der Medikamente zu erreichen, damit sie nur an den Zellen ansetzen, die tatsächlich für die Krankheit verantwortlich sind“, sagt er.

Neue Ansätze für Diagnostik und Therapie


Wegen der derzeit unbefriedigenden, unspezifischen Therapieoptionen fokussieren die Ansätze für mögliche künftige Therapien zum einen auf die Reduktion der Bildung von Autoantikörpern (afferente Phase der Autoimmunreaktion) und zum anderen auf die Beeinflussung der Entzündungsreaktion, die durch die Bindung der Autoantikörper an Haut und Schleimhäuten induziert wird (efferente Entzündungsphase).

Derzeitige konkrete Ergebnisse für neue Therapieansätze liegen vor für die Inhibition des Komplementsystems, das in der efferenten Phase, also nach Bindung der Autoantikörper in der Haut, eine wesentliche Rolle spielt. An Mäusen konnten die Forscher zeigen, dass durch die Blockierung bestimmter Komponenten die Erkrankung vollständig ausgeschaltet werden konnte. Eine klinische Studie, die auf diesen präklinischen Ergebnissen basiert, wird derzeit an der Lübecker Klinik durchgeführt.

Neue Therapieansätze sind sowohl hinsichtlich der Verminderung der Antikörperproduktion als auch hinsichtlich des durch die Autoantikörper verursachten Gewebeschadens in der Haut zu erwarten. Auch hinsichtlich der Diagnostik von kutanen Autoimmunerkrankungen gibt es verschiedene neue Ansätze. Hierbei werden insbesondere ELISA- und Biochip-basierte Verfahren eingesetzt, die molekulare Formen der Autoantigene verwenden.

Diese neuen Testverfahren sind nicht nur für die bessere Diagnostik dieser Erkrankung geeignet, sondern auch für die Einschätzung des Therapiebedarfs und der Therapie, weil in vielen dieser Erkrankungen die Höhe der Autoantikörperspiegel im Serum mit der Krankheitsaktivität korrelieren. Aufgrund der besonderen Situation bei bullösen Autoimmundermatosen, dass sich nämlich spezifische Autoantikörper sowohl in der Haut als auch im Serum der Patienten nachweisen lassen, lassen sich hier einfacher als bei anderen Erkrankungen Subgruppen definieren, die dann spezifischen Therapien zugeführt werden.

Unterstützung durch das Clinician-Scientist-Programm der DFG

Wichtig ist für Prof. Zillikens und seine Forschungsgruppe, dass beteiligte Nachwuchsärztinnen und –ärzte mit Unterstützung durch das Clinician-Scientist-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft von klinischen Routineaufgaben entlastet werden und sich ganz auf die wissenschaftliche Arbeit konzentrieren können.