Groß angelegte klinische Studie unter Federführung Lübecker Urologen
Weltweit erstmals ist die Wirksamkeit eines Impfstoffes gegen Nierenzell-Krebs nachgewiesen worden: Bei den Patienten, die nach der operativen Entfernung des Tumors im Rahmen einer groß angelegten klinischen Studie mit dem neuen Impfstoff behandelt wurden, bildeten sich seltener Metastasen als bei Betroffenen, die nicht mit dem neuen Arzneimittel behandelt wurden.
"Unsere Studienergebnisse belegen, dass der neue Impfstoff das relative Risiko einer Wiedererkrankung bzw. Bildung von Metastasen um etwa 30 Prozent verringert und sich somit die Lebenserwartung betroffener Patienten erhöhen könnte", sagt Prof. Dr. med. Dieter Jocham, Direktor der Lübecker Universitätsklinik für Urologie. Er ist Leiter der klinischen Studie, an der 55 deutsche Kliniken teilgenommen haben. Insgesamt wurden die Daten und Behandlungsverläufe von über 500 Patienten untersucht. Die Endergebnisse der nach den international anerkannten Richtlinien für "Good Clinical Practice" (GCP) durchgeführten Studie werden jetzt in der am 21. Februar erscheinenden Ausgabe des renommierten Wissenschafts-Journals "The Lancet" veröffentlicht.
Der neue Impfstoff wird aus körpereigenen Tumorzellen des jeweiligen Patienten hergestellt. Er wurde von dem in Hannover ansässigen Biotechnologie-Unternehmen LipoNova entwickelt. Mit der europaweiten Zulassung ist spätestens Anfang nächsten Jahres zu rechnen. Der entsprechende Antrag wurde bei der Europäischen Zulassungsbehörde (EMEA) bereits vor rund zwei Monaten gestellt.
Bundesweit erkranken jährlich rund 14.000 Menschen an Nierenkrebs. Die Tendenz ist steigend. Derzeit sterben rund 40 Prozent von ihnen innerhalb von fünf Jahren nach Diagnose des Tumors. Nach Wiedererkrankung liegt die mittlere Überlebenszeit bei 12 bis 18 Monaten. Nach fünf Jahren leben noch weniger als 5 Prozent. Mit dem neuen Impfstoff könnte sich die Lebenserwartung vieler Patienten erhöhen.
"Die von uns federführend durchgeführte wissenschaftliche Studie belegt besonders deutliche Unterschiede bei Patienten, die aufgrund eines bereits fortgeschrittenen Tumorstadiums ein höheres Risiko für ein Wiederauftreten der Erkrankung aufweisen", so Prof. Jocham. Denn nur bei knapp einem Drittel (32,5 %) dieser im Rahmen der Studie behandelten Patienten wurde innerhalb von fünf Jahren nach der Therapie eine Wiedererkrankung bzw. Metastasenbildung festgestellt. Bei der Patientengruppe, die nicht mit dem neuen Impfstoff behandelt wurde, erkrankten dagegen mehr als die Hälfte (50,3 %) der Patienten neu. Der Behandlungserfolg wurde bei dieser Gruppe der geimpften Patienten mit fortschreitender Zeit immer deutlicher: Während von den nicht behandelten Patienten nach knapp sechs Jahren 53,1 Prozent neu erkrankt waren, waren es bei den mit dem neuen Wirkstoff behandelten Patienten "nur" rund 33,8 Prozent.
Eckdaten der in "The Lancet" veröffentlichten Studie
Studienart: Prospektive kontrollierte randomisierte multizentrische zweiarmige Phase-III-Studie zur Prüfung der Wirksamkeit autologer Tumorvakzine (autologe Tumorvakzine LipoNova = aTL) nach radikaler Tumornephrektomie versus alleiniger Tumornephrektomie beim Nierenzellkarzinom der Stadien pT2, 3a, 3b pN0 und pN 1-3 M0
Eingesetzte Prüfmedikation: autologes Tumorzell-Lysat, intradermale Verabreichung
Vakzinierungsschema: Beginn 4 Wochen post-OP, 6 Vakzinegaben im Abstand von ca. 4 Wochen (1 ml Tumorzell-Lysat mit ca. 5 x106 Tumorzellen)
Studiendurchführung: nach ICH-GCP
Primäres Studienziel: Reduzierung des Progressionsrisikos
Patientenrekrutierung: Januar 1997 bis September 1998
Follow-up Zeit ausgewertet: 70 Monate
Studienzentren: 55 deutsche Kliniken, Patienten: 558
Leiter der klinischen Prüfung: Prof. Dr. med. Dieter Jocham, Direktor der Klinik für Urologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Lübeck
Studienkoordinator: Dr. med. Christian Doehn, Leitender Oberarzt der Klinik für Urologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Lübeck
Hersteller: LipoNova GmbH, Hannover
Erstpublikation: The Lancet, Februar 2004
Ergebnisse
Progressionsfreies Überleben Gesamtpatientenkollektiv: nach 5 Jahren 77,4 % in der Behandlungs- und 67,8 % in der Kontrollgruppe sowie nach 70 Monaten 72 % in der Behandlungs- und 59,3 % in der Kontrollgruppe. Die Ergebnisse für die Behandlungsgruppe werden also mit fortschreitender Zeit besser. Es handelt sich um die weltweit erste Studie, die einen klinisch signifikanten Vorteil für die Behandlungsgruppe zeigt und dies bei hoher Lebensqualität und geringen Nebenwirkungen. Für das Tumorstadium T3 lag das progressionsfreie Überleben der Behandlungsgruppe nach 5 Jahren bei 67,5 % (Kontrollgruppe 49,7%) und nach 70 Monaten bei 66,2 % in der Vakzinegruppe (Kontrollgruppe 46,9 %).
Hazard-Ratio und p-Wert: nach 5 Jahren Hazard-Ratio von 1,58 (p-Wert von 0,0204) zugunsten der Vakzine-Gruppe und nach 70 Monaten von 1,59 zugunsten der Vakzine-Gruppe.
Unerwünschte Wirkungen: es wurden lediglich in seltenen Fällen (n=12) eine Rötung an der Injektionsstelle und fieberähnliche Symptome beobachtet (Kategorie mild bis moderat)
Fakten zum Nierenzellkarzinom
14.000 Neuerkrankung in Deutschland pro Jahr, Tendenz steigend. Bis zu 50 % der betroffenen Patienten erkranken nach Primäroperation erneut. Bislang konnte keine wirksam adjuvante Therapie etabliert werden; schreitet die Krankheit fort oder bilden sich Metastasen, sinkt die Überlebensrate drastisch. Nur bei Erkrankungen im Tumorstadium T1 gibt es Prognosen für das erkrankungsfreie Überleben von bis zu 91 %, hingegen sinkt die Prognose bei den Tumorstadien T2 und T3 auf durchschnittlich 64 % ab. Das Risiko des Wiedererkrankens ist also eindeutig abhängig vom Tumorstadium.
für die Ukraine