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Freitag, 07.02.2014

Forschung

Neue Analysemöglichkeiten für Biomoleküle

Innovative Technik: Forscher untersuchen winzige Proteinkristalle mit Synchrotronstrahlung

Wissenschaftler der Universitäten Lübeck und Hamburg, des Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) sowie des Europäischen Molekularbiologischen Laboratoriums (EMBL) haben neue Analysemöglichkeiten für empfindliche Biomoleküle geschaffen. An der Röntgenquelle PETRA III des Deutschen Elektronen Synchrotrons (DESY) in Hamburg durchleuchteten die Forscher mikrometerfeine Kristalle eines Schlüsselenzyms der Schlafkrankheit und konnten auf diese Weise seine atomare Struktur bestimmen. Die so gewonnenen Strukturdaten decken sich mit früheren Analysen desselben Enzyms am weltstärksten Röntgenlaser in Stanford (USA). "Da nur sehr wenige der kostbaren Kristalle benötigt werden, eröffnet dieser Ansatz neue Möglichkeiten für die Strukturanalyse von Biomolekülen", betont Dr. Lars Redecke, Leiter der gemeinsamen Nachwuchsgruppe „Strukturelle Infektionsbiologie unter Anwendung neuer Strahlungsquellen (SIAS) der Universitäten Lübeck und Hamburg. Die Studie über das neue Verfahren wurde aktuell im Fachjournal der Internationalen Union für Kristallographie, "IUCrJ", veröffentlicht.

Aus der atomgenauen Struktur eines Biomoleküls können Biologen seine Funktionsweise und Eigenschaften bestimmen. Auf diesem Weg lassen sich beispielsweise maßgeschneiderte Medikamente entwerfen. Um die hochkomplexen Moleküle zu entschlüsseln, nutzen Forscher die Röntgen-Kristallographie. Dazu beleuchten sie Kristalle aus Biomolekülen mit kurzwelliger Röntgenstrahlung. Aus der Art und Weise, wie diese Kristalle das Röntgenlicht ablenken, lässt sich mit ausgeklügelten Rechenverfahren die Struktur der Kristalle und damit der Moleküle bestimmen. "Das Prinzip lässt sich als eine Art mathematische Lupe erklären", beschreibt Erstautor Cornelius Gati das Verfahren, das vor rund 100 Jahren vom deutschen Röntgenpionier Max von Laue sowie von den Briten William Henry Bragg und William Lawrence Bragg begründet wurde und heute routinemäßig bei Stoffen aus verschiedensten Fachrichtungen zum Einsatz kommt.

Im Gegensatz zu anderen Materialien lassen sich viele Biomoleküle jedoch nur schwer kristallisieren. "Es ist ein enormer Aufwand, von komplizierten Proteinen ausreichend große Kristalle für Standardanalysen zu züchten", betont Redecke. Manche Biomoleküle bilden allenfalls Mikrokristalle, die sich bislang nur mit dem hochintensiven Licht von Röntgenlasern analysieren lassen. Röntgenlaser wie der European XFEL, der zurzeit von DESY in Hamburg bis nach Schenefeld in Schleswig-Holstein gebaut wird, sind große Anlagen, von denen weltweit erst zwei in Betrieb sind.

Das Team hat nun an DESYs Röntgenquelle PETRA III einen Weg gefunden, wie sich Mikrokristalle auch mit häufiger verfügbaren Forschungslichtquellen, sogenannten Synchrotronstrahlungsquellen, untersuchen lassen. Sie züchteten dazu Mikrokristalle aus dem Enzym Cathepsin B des Parasiten Trypanosoma brucei, der die Schlafkrankheit auslöst. Die nadelförmigen Kristalle waren typischerweise 4 bis 15 tausendstel Millimeter (Mikrometer) lang. Die Forscher fischen wie beim Herstellen von Seifenblasen aus einer wässrigen Kristall-Suspension mit einer kleinen Nylonfadenschlinge einen etwa 20 Mikrometer dünnen Film heraus. In dem Film befinden sich jeweils rund 5000 Mikrokristalle.
Die so präparierte Nylonschlinge wird in die Messapparatur eingespannt und mit dem feinen und intensiven Röntgenstrahl von DESYs Synchrotronstrahlungsquelle PETRA III abgerastert. Der Strahl an der Messstation P14, die von EMBL betrieben wird, hat lediglich einen Durchmesser von knapp fünf tausendstel Millimetern und tastet nach und nach alle Kristalle in der Schlinge ab, wobei jeder Bereich der Probe etwa eine halbe Sekunde belichtet werden kann, bevor die intensive Röntgenstrahlung den untersuchten Kristall beschädigt. Auf diese Weise konnten die Forscher bereits aus rund 80 Kristallen die atomgenaue Struktur des Enzyms mit einer räumlichen Auflösung von 0,3 millionstel Millimetern (Nanometern) bestimmen. "Diese Proteinkristalle gehören mit zehn Kubikmikrometern Volumen zu den kleinsten, die bislang mit Synchrotronstrahlung analysiert wurden", betont EMBL-Wissenschaftler Thomas Schneider.

"Unsere Methode ist besonders interessant für sehr schwer zu kristallisierende Moleküle", betont Redecke. "Ein Vorteil des Verfahrens ist, dass wir mit Komponenten arbeiten, die an vielen Forschungslichtquellen vorhanden sind oder in Zukunft vorhanden sein werden", erläutert Gleb Bourenkov vom EMBL, der zweite Erstautor der Studie. Allerdings kann nicht jede Synchrotronstrahlungsquelle diese Analyse leisten. Man benötigt einen besonders feinen Röntgenstrahl von besonders hoher Intensität. Beides kann PETRA III liefern, die gegenwärtig die brillanteste Synchrotron-Röntgenlichtquelle der Welt ist.

Die neue Methode optimiert dabei auch die Ausnutzung des hellen Röntgenlichts. Während für die Standardanalyse größerer Kristalle das helle Röntgenlicht meist gedimmt werden muss, um die empfindlichen Biomoleküle nicht zu schnell zu beschädigen, nutzt das neue Verfahren die maximale Leistung von PETRA III erstmals in der Kristallographie von Biomolekülen aus. "Dieser Ansatz kann Röntgenlaseruntersuchungen bei schwierigen biologischen Proben ergänzen, so dass die Forscher die hochgefragten Anlagen optimal nutzen können", betont CFEL-Forscher Henry Chapman aus dem Team. Da diese Technik auch für andere Forschungslichtquellen interessant ist, haben sich bereits verschiedene Forschungszentren dafür interessiert.

Originalarbeit: "Serial crystallography on in vivo grown microcrystals using synchrotron radiation"; Cornelius Gati, Gleb Bourenkov, Marco Klinge, Dirk Rehders, Francesco Stellato, Dominik Oberthür, Oleksandr Yefanov, Benjamin P. Sommer, Stefan Mogk, Michael Duszenko, Christian Betzel, Thomas R. Schneider, Henry N.Chapmana, and Lars Redecke; IUCrJ (Februar 2014); DOI: 10.1107/S2052252513033939



Innovative technology opens up new biomolecule analysis possibilities

Scientists investigate tiny protein crystals with synchrotron radiation

Scientists from the universities of Lübeck and Hamburg, the Center for Free-Electron Laser Science (CFEL), and the European Molecular Biology Laboratory (EMBL) created new analysis possibilities for the investigation of delicate biomolecules. At the X-ray source PETRA III of the “Deutsches Elektronen Synchrotron” (DESY) in Hamburg, the scientists X-rayed micrometer-sized crystals of a key enzyme involved in sleeping sickness, thereby determining its atomic structure. The obtained structural data correspond to earlier analyses of the same enzyme at the world’s most powerful X-ray laser in Stanford (US). “Since only a few of these valuable crystals are needed, this method opens up new possibilities for the structural analysis of biomolecules,” said Dr. Lars Redecke, head of the joint junior research group “Structural infection biology applying new radiation sources (SIAS)” of the universities of Lübeck and Hamburg. The study which describes this new method was recently published in IUCrJ, the high-profile scientific journal of the International Union of Crystallography.

From the structure of a biomolecule at the atomic-level, biologists can determine its functioning and properties, thus for example allowing the design of tailor-made medication. For decoding the highly complex molecules, scientists use X-ray crystallography. By placing a biomolecular crystal in an X-ray beam, they can measure the pattern of X-ray light that encodes the three-dimensional structure of the constituent molecules of the crystal.  The molecular structure is decoded using sophisticated computational methods. “The principle can be explained as a kind of mathematical microscope,” said lead author Cornelius Gati to illustrate this method established about a hundred years ago by the German X-ray pioneer Max von Laue and by the British scientists William Henry Bragg and William Lawrence Bragg, and which today is routinely used to investigate matter in many fields.

In contrast to other materials, many biomolecules are difficult to crystallise. “It requires a considerable effort to grow large enough crystals from complicated proteins for standard analyses,” said Lars Redecke from the joint Laboratory for Structural Biology of Infection and Inflammation of the universities of Hamburg and Lübeck. Some biomolecules at best form microcrystals which until now could only be analysed with the extremely intense light of X-ray lasers. These X-ray lasers are large-scale facilities. So far there are only two operating X-ray FELs in the world. The world's most modern X-ray laser, European XFEL, is currently being built, running from the DESY campus in Hamburg to the neighboring town of Schenefeld in Schleswig-Holstein.

At DESY’s X-ray source PETRA III, the team has now found a way to investigate microcrystals with more common research light sources as well – with the so-called synchrotron radiation sources. They grew microcrystals from the enzyme cathepsin B of the Trypanosoma brucei parasite, which causes sleeping sickness. These needle-shaped crystals typically had a length of 4 to 15 thousandths of a millimeter (micrometer). Like making soap-bubbles, the scientists use a small nylon loop to extract a 20-micrometre thin film from an aqueous crystal suspension, with about 5000 microcrystals in each film.
The prepared nylon loop was then mounted into the measuring equipment and scanned with the fine and intense X-ray beam of DESY’s synchrotron radiation source PETRA III. The beam at the measuring station P14, operated by the European Molecular Biology Laboratory EMBL, has a diameter of barely five thousandths of a millimeter and it gradually scanned all crystals in the loop, with each part of the sample being exposed about half a second before the intense X-rays destroyed the investigated crystal. With this method, the scientists were able to determine from 80 crystals the atomic structure of the enzyme with a spatial resolution of 0.3 millionth of a millimeter (nanometer). “With a volume of 10 cubic micrometers, these crystals are among the smallest protein crystals that have been analysed with synchrotron radiation,” EMBL scientist Thomas Schneider points out.

“Our method is especially interesting for difficult to crystallise molecules,” said Redecke. “An advantage of this procedure is that we can work with components that are existing or will be available in the future at many research light sources,” explains Gleb Bourenkov from EMBL, the second lead author of the study. However, not all synchrotron radiation sources can perform this analysis. It requires a very fine X-ray beam of especially high intensity – both provided at PETRA III, which today is the world’s most brilliant synchrotron X-ray light source.

The new method also optimises the utilisation of the bright X-ray light. Whereas for standard analyses of larger crystals the bright X-ray light has to be dimmed to avoid rapid damage of the delicate biomolecules, the new procedure exploits the maximum power of PETRA III for biomolecule crystallography for the first time. “This approach will complement X-ray laser studies of difficult biological samples, allowing researchers to make optimal use of facilities that are in high demand,” said CFEL scientist Henry Chapman. Since this technology is also valuable for other research light sources, several research centers already expressed their interest.

Reference: "Serial crystallography on in vivo grown microcrystals using synchrotron radiation"; Cornelius Gati, Gleb Bourenkov, Marco Klinge, Dirk Rehders, Francesco Stellato, Dominik Oberthür, Oleksandr Yefanov, Benjamin P. Sommer, Stefan Mogk, Michael Duszenko, Christian Betzel, Thomas R. Schneider, Henry N.Chapmana, and Lars Redecke; IUCrJ (February 2014); DOI: 10.1107/S2052252513033939

A nylon loop containing a thin film loaded with microcrystals. The X-ray beam scans the loop.

The crystals were grown in living cells (left) isolated for investigation (center) and screened with X-rays (right) at PETRA III