Pneumonien gehören zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland - Neues Kompetenznetz will Hintergründe erforschen
Entzündungen der Lunge (Pneumonien) sind so häufig wie unerforscht. Schätzungen zufolge erleiden in Deutschland jährlich etwa 800 000 Menschen eine ambulant, d.h. außerhalb des Krankenhauses, erworbene Pneumonie. Doch wie hoch die Zahl der Neuerkrankungen tatsächlich ist, welche Viren oder Bakterien sie verursachen, wie erfolgreich die ärztliche Therapie ist und welche bleibenden Beeinträchtigungen eine Lungenentzündung hinterlässt - darüber ist bis heute nur wenig bekannt.
Dies zu ändern, haben sich Wissenschaftler der Universität Lübeck auf die Fahnen geschrieben. Im Rahmen eines neuen bundesweiten Kompetenznetzwerks werden in Lübeck unter Federführung der Medizinischen Klinik III (Direktor: Prof. Peter Zabel) akut Erkrankte untersucht und behandelt, mikrobiologische Diagnosemöglichkeiten entwickelt sowie Patientendaten erfasst und ausgewertet. "Ziel des Netzwerkes ist es, erstmals umfassende Informationen zur Pneumonie zu gewinnen und dieses neue Wissen dann zum Wohle des Patienten in Erfolg versprechende Behandlungsmethoden umzusetzen. Lübeck als einem großen Zentrum innerhalb des Netzwerks kommt hierbei besondere Bedeutung zu: Unter anderem laufen im Institut für Sozialmedizin Daten von mehreren tausend Lungenpatienten aus ganz Deutschland zusammen", erklärt Prof. Klaus Dalhoff, Pneumologe an der Medizinischen Klinik III und Leiter des regionalen klinischen Netzwerk-Zentrums.
Welche Bedeutung ambulant erworbene Pneumonien haben, zeigt das Beispiel SARS: Bei der vor allem im asiatischen Raum und anfangs auch in Kanada weit verbreiteten Atemwegserkrankung handelt es sich um eine neuen Erreger, der ebenfalls ambulant - vor allem durch Tröpfcheninfektion beim Husten oder Atmen - übertragen wird. "Die Wahrscheinlichkeit, dass SARS gehäuft in Deutschland auftritt, ist sehr gering. Dennoch ist SARS ein gutes Beispiel dafür, dass es immer wieder neue Erreger gibt", sagt Dalhoff. Varianten des Grippevirus etwa, die heute offensichtlich zahlreiche Pneumonien mit verursachen, waren vor wenigen Jahren noch vollkommen unbekannt.
Um die vorhandenen Wissenslücken rund um die Lungenentzündung zu schließen, fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit dem vergangenen Jahr das so genannte CAPNetz - das Kompetenznetzwerk ambulant erworbene Pneumonien. Dies scheint auch dringend notwendig zu sein, denn nach Angaben des Statistischen Bundesamtes werden in Deutschland jährlich etwa 240 000 Personen mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert - das sind wesentlich mehr Klinikeinweisungen als etwa nach Herzinfarkt (130 000) oder Schlaganfall (162 000). Die Erkrankung verursacht jährlich direkte und indirekte Kosten von 500 Millionen Euro; etwa sechs bis acht Prozent der Patienten versterben. Dalhoff: "Damit ist die Lungenentzündung in Deutschland die sechsthäufigste Todesursache und in den westlichen Industrienationen die häufigste zum Tode führende Infektionskrankheit."
Im CAPNetz haben sich Niedergelassene und Klinikärzte, Mikrobiologen, Virologen, Epidemiologen, Gesundheitsökonomen, Statistiker und Informatiker zusammengeschlossen. Das Herzstück von CAPNetz bilden acht klinische Zentren (neben Lübeck u.a. Berlin, Lüdenscheid, Magdeburg und Würzburg), in denen Patienten erfasst, untersucht und behandelt werden. In Lübeck beteiligen sich derzeit 46 Praxen von Internisten, Pneumologen und Allgemeinärzten sowie drei Ambulanzen (Uniklinik, Krankenhaus-Süd, Priwall-Krankenhaus); das sind fast 50 Prozent aller Praxen der Hansestadt. Jeder gemeldete Patient wird - freiwillig und ohne dass Kosten für ihn entstehen - intensiver untersucht und betreut. Bislang konnten in Lübeck mehr als 130 Patienten, im gesamten CAPNetz über 600 eingeschlossen werden. Bundesweit sollen in der maximal fünfjährigen Förderphase 6 000 Patienten erfasst werden.
Neben klinischem Zentrum und Institut für Sozialmedizin ist Lübeck mit zwei Forschungsschwerpunkten am CAPNetz beteiligt:
Darüber hinaus führen die Lübecker Sozialmediziner Untersuchungen zu möglichen Risikofaktoren durch, die im Zusammenhang mit einer Lungenentzündung stehen können. Schäfer: "Hierfür haben wir einen umfangreichen Fragebogen erarbeitet, der bundesweit im gesamten Kompetenznetzwerk eingesetzt wird." Gefragt wird u.a. nach Vorerkrankungen wie Kurzatmigkeit oder Husten, nach eventuellen Lungenentzündungen im Elternhaus, nach gleichzeitig bestehenden Allergien wie Heuschnupfen. Spielt die Haustierhaltung für Erwerb oder Schweregrad der Erkrankung eine Rolle? Haben Bildungs- oder Familienstand einen Einfluss auf das Erkrankungsrisiko? Welche Bedeutung haben schlechte Arbeitsbedingungen für den Gesundheitszustand der Lungenpatienten? Vermindert körperliche Aktivität das Pneumonie-Risiko? Mittlerweile sind die ersten 200 ausgefüllten Fragebögen beim Institut für Sozialmedizin eingegangen. Parallel hierzu werden in Kürze gesunde Menschen aus der Lübecker Normalbevölkerung befragt, um mit einem Vergleich der Antworten Rückschlüsse auf die vermuteten Risikofaktoren zu ziehen.
Noch sind umfangreiche Forschungen notwendig. Doch langfristig erhoffen sich alle Beteiligten, mehr über das Mysterium "Lungenentzündung" zu erfahren. Prof. Dalhoff: "Bisher wissen wir nur sehr wenig über den Verlauf einer Erkrankung, ob Patienten mit einer Pneumonie z.B. häufiger einen Herzinfarkt erleiden oder wie erfolgreich die eingesetzte Antibiotika-Therapie tatsächlich ist." In spätestens vier bis fünf Jahren, da sind sich die Experten einig, wird der Kenntnisstand dank bundesweit vernetzter Strukturen - und nicht zuletzt aufgrund Lübecker Aktivitäten - in den Bereichen Klinik und Forschung immens gesteigert sein.
Die ambulant erworbene Pneumonie macht sich oft mit Husten, Brustschmerz und Atemnot bemerkbar. Eine erhöhte Atemfrequenz, Fieber sowie Muskel- und Gelenkschmerzen sind oft ebenfalls Begleiter. Eine Lungenentzündung kann sich aus einer einfachen Bronchitis oder einer harmlosen Erkältung entwickeln. Sehr häufig wird sie auch durch das Einatmen von ansteckenden (infektiösen) Krankheitserregern verursacht. Bakterien (Pneumokokken, Haemophilus influenzae) und Viren (Influenza A und B) sind die häufigsten Auslöser für Lungenentzündungen; Pilze oder andere Parasiten sind ungleich seltener. Besonders anfällig sind Menschen mit schwachem Immunsystem (Säuglinge, alte Menschen, Bettlägerige oder schwer kranke Patienten, die mit immununterdrückenden Medikamenten behandelt worden sind).
Die Diagnose wird meist nach dem klinischen Bild in Verbindung mit einer Röntgenaufnahme der Lunge gestellt. Blut- und Auswurfuntersuchungen können weiteren Aufschluss geben, in selten Fällen auch eine Spiegelung der Atemwege (Bronchoskopie). Wichtigste therapeutische Maßnahme ist der schnelle, gezielte und konsequente Einsatz von Antibiotika.
Die beste Vorbeugung, insbesondere bei älteren und eventuell kranken Menschen mit geschwächtem Immunsystem, bietet die Impfung. Es stehen Impfstoffe gegen Influenzaviren (Grippe) und Pneumokokken zur Verfügung. Doch trotz einer eindeutigen Empfehlung durch die Ständige Impfkommission (STIKO) liegen die Impfraten bei diesem Personenkreis zwischen lediglich zehn bis 20 Prozent bei der Pneumokokkenimpfung und knapp 50 Prozent bei der Impfung gegen Influenza. Ein Ziel von CAPNetz ist es, diese Zahlen deutlich nach oben zu korrigieren.
Uwe Groenewold / Pressedienst Universität zu Lübeck
Die Fotos sind zur Veröffentlichung freigegeben.
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Ein solches Meldesystem in Deutschland etabliert zu haben, hält Schäfer für sehr bedeutsam: "Auf diese Weise können wir rechtzeitig sehen, wenn regional gehäuft Erkrankungen auftreten. Gerade in Zeiten der weltweiten SARS-Epidemie kommt der möglichst breiten Erfassung von Neuerkrankungen eine wichtige Frühwarnfunktion zu."
für die Ukraine