Diagnose und Behandlung aus der Ferne in den Modellregionen Stuttgart und Tuttlingen
Das Institut für Allgemeinmedizin der Universität zu Lübeck und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, evaluiert ein bundesweit einzigartiges Telemedizin-Projekt in Baden-Württemberg. „Im Rahmen des Projekts werden wir insbesondere die Patienten-, Anwender- und Organisationsperspektive, die klinische Effektivität sowie ökonomische Aspekte berücksichtigen“, sagte Prof. Dr. Jost Steinhäuser, der Direktor des Instituts.
Das Modellprojekt „docdirekt“ wurde am 16. April gestartet und wird wegweisend für die Telemedizin in ganz Deutschland sein. Patientinnen und Patienten aus den Regionen Stuttgart und Tuttlingen können im Rahmen des Projekts erstmals telemedizinisch auch aus der Ferne untersucht und behandelt werden, ohne dass der Arzt sie zuvor persönlich kennengelernt hat.
Das Lübecker Institut hat eine besondere Expertise für die Durchführung von telemedizinischen Verfahren und gesundheitsökonomischen Evaluationen. Als Mitglied im „Center for Open Innovation in Connected Health“ (COPICOH) der Universität zu Lübeck erarbeitet es beispielsweise die deutschsprachige Version des „Model for Assessment of Telemedicine Applications“ (MAST), einem der Standard-Modelle zur Implementierung von Telemedizin.
Neue Wege in der Patientenversorgung
Federführend für die Einführung des Projekts „docdirekt“ ist die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg. Deren Vorstandsvorsitzender, Dr. Norbert Metke, sagte: „Mit ‚docdirekt‘ gehen wir neue Wege in der Patientenversorgung. Online-Sprechstunden sind seit vielen Jahren in anderen Ländern längst etabliert, nur Deutschland hinkt hier weit hinterher.“ Er betonte: „Uns war es wichtig, dass wir einen großen Schritt in Sachen Digitalisierung vorankommen und andere Möglichkeiten der Interaktion zwischen Arzt und Patient anbieten. Wir wissen, dass ein großer Teil der Bevölkerung heute bereits Online-Medien für Beratungsangebote oder Apps im Gesundheitsbereich nutzt. Viele Menschen können sich auch andere Arzt-Patienten-Kontakte als den direkten in der Sprechstunde vorstellen.“
Patientinnen und Patienten aus den Modellregionen, die akut erkrankt sind und ihren behandelnden Haus- oder Facharzt nicht erreichen, können sich per App, online oder telefonisch bei „docdirekt“ melden. Der Service steht Montag bis Freitag von 9 bis 19 Uhr zur Verfügung. Eine speziell geschulte Medizinische Fachangestellte erfasst Personalien, Krankheitssymptome und klärt die Dringlichkeit. Handelt es sich um einen lebensbedrohlichen Notfall, wird der Anruf an die Rettungsleitstelle weitergeleitet. In den anderen Fällen wird ein sogenanntes „Ticket“ erstellt, das ein Tele-Arzt online über eine Web-basierte Plattform aufrufen kann. Der Tele-Arzt ruft zurück, spricht mit dem Patienten über seine Beschwerden und gibt eine Empfehlung für die Behandlung. Im Idealfall kann der Tele-Arzt den Patienten abschließend telemedizinisch beraten. Ist eine persönliche Vorstellung des Patienten bei einem Arzt noch am gleichen Tag notwendig, wird der Patient an eine dienstbereite Haus- oder Facharztpraxis weitergeleitet.
Vom bisherigen Fernbehandlungsverbot abgerückt
Bisher stand das Fernbehandlungsverbot einem solchen Projekt entgegen. Die Kassenärztliche Vereinigung und die Vertreterversammlung der Landesärztekammer Baden-Württemberg sind davon jetzt erstmals abgerückt und haben Modellprojekte ermöglicht. Technologiepartner von „docdirekt“ ist das Start-up TeleClinic aus München. Dessen Gründer und medizinischer Leiter, Prof. Dr. Reinhard Meier, sagte: „Wir haben TeleClinic gegründet, um Patienten einen einfachen digitalen Zugang zu ärztlicher Kompetenz anzubieten und so die Telemedizin in Deutschland voranzubringen. Die Möglichkeit, ärztliche Leistungen auch über moderne, digitale Kommunikationsmittel erhalten zu können, hat positive Effekte auf Versorgungsqualität sowie -effizienz. Gerade als Arzt sehe ich hier ein großes Potenzial für die Behandlung unserer Patienten.“
Mit der bereit gestellten App kann eine Video-Verbindung zwischen dem Patienten und der Medizinischen Fachangestellten hergestellt werden. Außerdem kann der Patient eigene Dokumente hochladen, beispielsweise ein Foto, das einen Ausschlag zeigt, eine Röntgenaufnahme oder auch einen Arztbrief. Der Arzt hat damit Zugriff auf diese Dokumente und kann sie gezielt für die Behandlung einsetzen.
für die Ukraine