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Donnerstag, 23.07.2020

Forschung

Künstliche Intelligenz für die Intensiv- und Notfallmedizin

Verbundprojekt entwickelt neue KI-Software für Radiologen - Unterstützung bei der Analyse von Röntgenaufnahmen, besser verständliche Auswertungen, automatisierte Visualisierung

Ziel des Projekts „Künstliche Intelligenz für radiologische Bildgebung in der Notfall- und Intensivmedizin“ (KI-RAD) ist es, einen intelligenten Röntgenassistenten zu entwickeln, der dabei hilft, wichtige Informationen aus Röntgen- und CT-Bildern zu filtern, die entscheidend für die weitere Versorgung von Patientinnen und Patienten sind. Hierfür wurden drei kritische Anwendungsbereiche ausgewählt: Schlaganfall, Knochenverletzungen und Röntgenaufnahmen des Brustkorbes (Röntgenthorax).

"KI-RAD ist eines der wichtigen standortübergreifenden Anwendungs- und Innovationsprojekte in KI-SIGS, die zusammen mit den Plattformprojekten das bestehende herausragende Ökosystem im Bereich Medizin und Medizintechnik im Norden auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz entscheidende Schitte nach vorne bringen wird", sagt Prof. Dr. Stefan Fischer, Sprecher des Verbunds norddeutscher KI-Institute in Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein zusammen mit medizintechnischen Unternehmen und Partnern der Universitätskliniken, KI-SIGS (KI-Space für intelligente Gesundheitssysteme). Prof. Fischer ist Vizepräsident der Universität zu Lübeck für Transfer und Digitalisierung und Direktor des Instituts für Telematik der Universität.

Intelligenter Röntgenassistent soll dringliche Probleme erkennen

„Gerade in der Notfall- und Intensivmedizin kann ein intelligenter Röntgenassistent lebensrettend sein, da er schnell Dinge erkennt und dafür sorgt, dass man nichts übersieht“, erklärt der Projektkoordinator Dr. Claus-Christian Glüer. Glüer ist Professor für Medizinische Physik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Mattias Heinrich am Institut für Medizinische Informatik der Universität zu Lübeck, die international für ihre Expertise im Bereich der Künstlichen Intelligenz anerkannt ist, wird im Rahmen des Projektes neue Techniken der Erklärbarkeit und Visualisierung von tiefen maschinellen Lernverfahren entwickeln.

Den Anwendungsbereich zu Röntgen-Aufnahmen des Brustkorbs betreut Prof. Dr. Heinrich zusammen mit Prof. Dr. Jörg Barkhausen und Dr. Malte Sieren aus der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin am UKSH, Campus Lübeck. In diesem Projekt geht es darum behandlungsbedürftige Probleme auf der Internsivstation wie zum Beispiel die Fehllage eines Katheters oder einen Pneumothorax mit Hilfe von KI schneller und automatisch zu erkennen.  Weitere Anwendungsfälle in diesem Projekt, in dem Informatiker, Ärzte und Industriepartner eng zusammenarbeiten, sind die automatische Erkennung von Schlaganfällen und Frakturen.

Erklärbare und nachvollziehbare Entscheidungen anstelle einer KI-Black Box

Für viele Anwender, insbesondere im medizinischen Bereich, ist der Einsatz eines KI-Verfahrens mit Vorbehalten verbunden – gerade im Bezug auf die Nachvollziehbarkeit diagnostischer Entscheidungen und deren Genauigkeit durch einen komplexen Algorithmus. „Jedoch, gibt es bereits jetzt Möglichkeiten die Entscheidungsfindung eines neuronalen Netzwerkes transparent zu machen. Eine Weiterentwicklung zur interpretierbaren Visualisierung, welche auch Unsicherheiten sichtbar macht, wird die Akzeptanz der Nutzung einer KI-Unterstützung für Ärztinnen und Ärzte deutlich erhöhen“, ist sich Prof. Heinrich sicher. Grundlage für die Entwicklung dieses intelligenten Röntgenassistenten sind Röntgenbilder aus dem klinischen Alltag, die von spezialisierten Radiologinnen und Radiologen des UKSHs interpretiert und annotiert wurden. Das KI-System lernt Objekte und patientenspezifische Ausprägungen aus diesen Beispielbildern wiederzuerkennen. Eine große Menge an annotierten Bilddaten verbessert die Qualität der Vorhersagen und erlaubt auf Grund der enthaltenen Variabilität die Abschätzung von Unsicherheiten. In Zusammenarbeit mit Philips Research werden sowohl die Annotationswerkzeuge für die genaue Erfassung der Lage von Kathetern und Fremdmaterialen in Röntgenaufnahmen verbessert, als auch KI-Methoden auf dieses spezifische Anwendungsproblem angepasst und optimiert.

Potenzielle Anwendungsgebiete für transparente KI-gestützte Analyseverfahren gibt es in der Medizin viele. Patienten profitieren generell von einer schnellen, zielgerichteten Diagnostik, die im Einzelfall schwere Komplikationen verhindern oder lebensrettend sein kann. Das Tool kann dabei etwa Ärzte in kleineren Krankenhäusern unterstützen, denen zu Dienstzeiten nicht immer fachärztliche radiologische Expertise zur Verfügung steht. Auch ein Einsatz zu Trainingszwecken ist vorstellbar.

Über KI-RAD

Das auf drei Jahre angelegte Projekt „Künstliche Intelligenz (KI) für radiologische Bildgebung in der Notfall- und Intensivmedizin“ (KI-RAD) ist ein Anwendungsprojekt innerhalb von „KI-Space für intelligente Gesundheitssysteme“ (KI-SIGS). Es wird mit 1,5 Millionen Euro vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Ziel ist die Entwicklung und Bereitstellung von KI-gestützten Analyseverfahren zur Optimierung von Workflow und Befundungsqualität für Bildgebung in der Notfall- und Intensivmedizin, speziell in den Bereichen Schlaganfall, Skelettrauma und Intensiv/Röntgenthorax. Das Projekt startete im April 2020 und endet voraussichtlich im März 2023. Neben die Universität zu Lübeck und der CAU als Koordinatorin sind auch das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) sowie die Unternehmen Philips, Hamburg, und mbits, Heidelberg, beteiligt.

Typische Röntgenaufnahme des Thorax aus dem Alltag der Intensivmedizin der Klinik für Radiologie des UKSH Lübeck mit zahlreichen Kathetern und weiterem Fremdmaterial. Ein zentraler Venenkatheter wurde annotiert (grün), die Fehllage im rechten Vorhof (rot) ist ein Risiko für den Patienten und sollte schnell erkannt werden (Abb.: Prof. Dr. Jörg Barkhausen, Dr. Malte Sieren, Klinik für Radiologie, UKSH Lübeck)

Prof. Dr. Mattias Heinrich (Foto: IMI)

Prof. Dr. Jörg Barkhausen (Fotos: Radiologie Lübeck)

Dr. Malte Sieren