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Donnerstag, 21.02.2013

Forschung

Hochpräzise Methodik zur Strukturanalyse von flexiblen Biomolekülen

Mit der hpFRET-Spektroskopie zu neuen Behandlungsansätzen gegen HIV

Die Methoden, mit denen Forscher auf molekularer und atomarer Ebene nach neuen Therapieansätzen suchen, werden immer präziser. Wissenschaftler aus Lübeck, Düsseldorf und Dortmund haben jetzt die Struktur von Biomolekülen mit einer Genauigkeit von 50 Milliardstel Millimeter aufgeklärt, die für die Aids-Behandlung von großer Bedeutung sein können. Ihre Ergebnisse haben sie in der international renommierten Wissenschaftszeitschrift Nature Methods veröffentlicht.*

Die Arbeit trägt unter anderem wesentlich zum Verständnis der Funktion des Proteins Reverse Transkriptase (RT), einem bedeutenden Wirkstoff-Target bei der HIV-1-Therapie, bei. Die Forscher haben zur hochpräzisen Strukturmodellierung von Biomolekülen die high-precision Förster-Resonanzenergietransfer (hpFRET)-Spektroskopie entwickelt und auf einen für die Vermehrung des HI-Virus Typ1 (HIV-1) bedeutenden Komplex der RT mit einem Nukleinsäuremolekül übertragen. Bei der hpFRET-Spektroskopie werden, wie bei einem Lineal, Distanzen zwischen zwei an ein Biomolekül gekoppelten Farbstoffmolekülen auf einer Nanometer-Längenskala (2 bis 10 Milliardstel Meter) gemessen.

Aus diesen Distanzen wird auf Atomabstände im Biomolekül zurückgeschlossen. Diese Abstandsinformation wird dann zur Modellierung einer dreidimensionalen Struktur des Biomoleküls verwendet. Vor dem Hintergrund, dass die Funktionalität von Biomolekülen durch ihre dreidimensionale Struktur und ihre dynamischen Eigenschaften und Strukturveränderungen bestimmt wird, ist hpFRET ein ideales Werkzeug, die Konstruktionsprinzipien solcher Nanomaschinen aufzuklären.

Die beteiligten Wissenschaftler stammen vom Lehrstuhl für Molekulare Physikalische Chemie und vom Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, vom Max-Planck-Institut für Molekulare Physiologie in Dortmund und vom Institut für Molekulare Medizin der Universität zu Lübeck und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck (Prof. Dr. rer. nat. Tobias Restle).

Das Lübecker Institut für Molekulare Medizin beschäftigt sich u.a. mit der Replikation humanpathogener Viren (HIV und HCV), aber auch dem Phänomen der RNA Interferenz. Ziel ist das Verständnis der komplexen zellulären Prozesse auf molekularer Ebene durch Kombination biochemischer und struktureller Analysen, um rationale Ansätze für neue innovative Therapieansätze zu entwickeln.

Die möglichen Nutzanwendungen der hpFRET-Spektroskopie sind vielfältig. Die Methode ermöglicht Untersuchungen dynamischer makromolekularer Strukturen und Wechsel-wirkungen, die mittels Röntgenstrukturanalyse bzw. Kernspinresonanzspektroskopie (NMR-Spektroskopie) nicht zugänglich sind. Die zu erwartenden Ergebnisse haben direkte Implikationen hinsichtlich eines detaillierten molekularen Verständnisses bestimmter Stoffwechselwege und sind somit essentielle Voraussetzung zur Entwicklung neuer Therapieansätze.  

Die vorgestellte Methode ermöglicht es erstmals, dynamische Proteinstrukturen bzw. Protein/Liganden-Wechselwirkungen mit einer atomaren Auflösung vergleichbar der Röntgenstrukturanalyse bzw. der NMR-Spektroskopie zu analysieren. Derartige dynamische Strukturen insbesondere großer Makromoleküle lassen sich oft mit den beiden letztgenannten Techniken nicht oder nur unzureichend untersuchen. Somit stellt die neue Technik eine interessante Alternative zu den bislang verfügbaren Methoden dar. Ein weiterer Vorteil gegenüber konventionellen Methoden ist der um ein Vielfaches geringere Materialeinsatz.

Auf dem Campus bestehen Kooperationen mit Arbeitsgruppen des Zentrums für Medizinische Struktur- und Zellbiologie und dem im Aufbau befindlichen Schwerpunkt „Strukturelle und zelluläre Virologie“. Hier steht die Aufklärung der molekularen Grundlagen und der Funktion von Zellen, Viren und Biomolekülen im Vordergrund. Darüber hinaus besteht eine Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Prof. Yves Mely vom Laboratoire de Biophotonique et Pharmacologie am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Illkirch/Frankreich.

Die Lübecker Forscher arbeiten derzeit an Fragestellungen zur Replikation von HIV. Hier stehen Untersuchungen zur Wechselwirkung zwischen der Reversen Transkriptase und dem Nukleokapsid Protein im Vordergrund und der Fragestellung, wie derartige Wechselwirkungen die Virusvermehrung beeinflusst. Weiterhin ist geplant, die neue Technik zur Aufklärung molekularer Details im Zusammenhang mit der RNA Interferenz anzuwenden.
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* Stanislav Kalinin, Thomas Peulen, Simon Sindbert, Paul J. Rothwell, Sylvia Berger, Tobias Restle, Roger S. Goody, Holger Gohlke und Claus A.M. Seidel:  A toolkit and benchmark study for FRET–restrained high-precision structural modeling. Nature Methods, Volume 9, Number 12 (December 2012), 1218-1225.