Mit einer Behandlung zur Aufmerksamkeitsmodulation können die Symptome oftmals deutlich reduziert werden
Funktionelle Bewegungsstörungen sind häufige neurologische Erkrankungen, die sich meist in Form von Zittern, Muskelverkrampfungen, Zuckungen und Gangstörungen bemerkbar machen. Es liegt aber, im Unterschied zu anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen, keine strukturelle Schädigung des Nervensystems zu Grunde. Häufig sind chronische Verläufe über mehrere Jahre, in denen die Patientinnen und Patienten meist keine zeitnahe Diagnose und Therapie erhalten.
Am Institut für Systemische Motorikforschung der Universität zu Lübeck und an den Uni-Kliniken für Neurologie in Lübeck und Kiel ist jetzt die erste deutschlandweite Therapiestudie für Patientinnen und Patienten mit funktionellen Bewegungsstörungen angelaufen. Leiterin ist die Lübecker Neurologin Priv.-Doz. Dr. Anne Weißbach. Die Studie wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit 430.000 Euro über drei Jahre gefördert (Metacognitive Therapy and Neuro-physiotherapy as a Treatment for Functional Movement Disorders, ReMAP-FMD, clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT05323344). Beteiligt sind auch das Zentrum für Klinische Studien und das Institut für Medizinische Biometrie und Statistik der Universität zu Lübeck.
Die an der Studie beteiligten Patientinnen und Patienten werden in zufälliger Zuteilung entweder mit einer zehnwöchigen spezialisierten Neuro-Physiotherapie oder einer Kombination aus Neuro-Physiotherapie und kognitivem Aufmerksamkeitstraining behandelt. Vor der Behandlung, direkt danach sowie drei, sechs und zwölf Monate nach der Behandlung erfolgt ein multimodales, interdisziplinäres Untersuchungsprogramm. Es besteht aus einer neuropsychiatrischer Untersuchung, Sensorenmessungen, transkranieller Magnetstimulation, motorischer Metakognitionsmessung und einer Magnetresonanztomographie.
Gezielte Therapie zu Veränderungen der Aufmerksamkeit
Leiterin Dr. Anne Weißbach erläutert die Bedeutung der Studie: „Im Rahmen dieser Machbarkeitsstudie möchten wir überprüfen, ob unsere beiden Behandlungen (reine Physiotherapie und eine Kombination aus Physiotherapie und kognitivem Aufmerksamkeitstraining) an den beiden Standorten machbar und von den Patientinnen und Patienten gut toleriert werden. Neben unserem geblindeten Videorating und den Fragebögen zu motorischen und nicht-motorischen Symptomen werden aber auch zusätzlich unter anderem die motorische Metakognition und die Konnektivität zwischen motorischem Kortex und tempero-parietalem Knotenpunkt untersucht.“
Es handelt sich um die erste deutschlandweite Therapiestudie zu funktionellen neurologischen Bewegungsstörungen, bei der eine gezielte Therapie zu Veränderungen der pathologischen, fokussierten Aufmerksamkeit zur Anwendung kommt. Während die Neuro-Physiotherapie mit den Mitteln des körperlichen Bewegungstrainings Aufmerksamkeit auf noch gut funktionierende Bewegungen lenkt und so das Vertrauen in die eigene Bewegungsfähigkeit fördert, konzentriert sich das kognitive Aufmerksamkeitstraining, welches im Rahmen einer metakognitive Verhaltenstherapie durchgeführt wird, auf die Externalisierung der Aufmerksamkeit auf Töne. Im Rahmen der Behandlung sollen die Patientinnen und Patienten verstehen, wie dysfunktionale Denkmuster und Selbstwahrnehmungen zu funktionellen Bewegunsstörungen führen und diese aufrechterhalten können. Besonders die Psychoedukation und das Selbstmanagement der Patientinnen und Patienten stellt einen wichtigen Teil der Behandlung dar.
Die Studie soll dazu beitragen, Therapieempfehlungen auf einer besser gesicherten Grundlage geben zu können. Denn obwohl funktionelle Bewegungsstörungen sehr häufig sind, erhalten viele Patientinnen und Patienten derzeit noch keine zufriedenstellende Behandlung ihrer Beschwerden. Dies ist besonders bedauerlich, da unter effektiver Therapie zum Teil eine vollständige Symptomreduktion möglich ist. Da funktionelle Bewegungsstörungen nicht auf strukturellen Läsionen im Bereich des Nervensystems beruhen, ist zu vermuten, dass es wahrscheinlich vielmehr zu einer gestörten Zusammenarbeit zwischen einzelnen Hirnbereichen kommt, die zu einer Beeinträchtigung der motorischen Funktion führen.
Außerdem hebt Dr. Anne Weißbach hervor: „Es ist auch das erste Mal, dass eine Therapiestudie bei diesen Patientinnen und Patienten von neuro-physiologischen und bildmorphologischen Untersuchungen gestützt wird, um die grundlegenden Wirkungsweisen besser verstehen zu können.“
Die Studie soll zum Sommer 2025 abgeschlossen sein.
für die Ukraine