Forschende der Universität zu Lübeck und des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) an der Universität Luxemburg haben die verschiedenen Zelltypen im menschlichen Mittelhirn untersucht, um ihre jeweilige Rolle bei der Parkinson-Krankheit besser zu verstehen.
Sie analysierten postmortale Proben von Erkrankten und Gesunden und erstellten einen einzigartigen Datensatz für die Einzelkern-RNA-Sequenzierung. Ihre Ergebnisse, die vor kurzem in der Fachzeitschrift Brain veröffentlicht wurden, zeigten die Existenz eines spezifischen Zellclusters im Mittelhirn von Parkinson-Patienten. Sie unterstrichen auch die Rolle der Gliazellen - der nicht-neuronalen Zellen im Gehirn - bei der Pathologie dieser Bewegungsstörung.
Die Parkinson-Krankheit
Die Parkinson-Krankheit (PD) ist durch den Verlust dopaminerger Neuronen im Mittelhirn gekennzeichnet, doch die genauen Ursachen der Krankheit sind noch immer nicht genau bekannt. Diese Neuronen steuern Gehirnfunktionen wie willkürliche Bewegungen und Verhaltensprozesse wie Stress. Ihre Degeneration führt zu der Krankheit mit ihren klassischen Symptomen: Zittern, Steifheit und Verlust von Gleichgewicht und Koordination. Dies ist jedoch nicht das ganze Bild: Jüngste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass auch andere Zelltypen am Krankheitsverlauf beteiligt sein können.
Einzelkern-RNA-Sequenzierung des Mittelhirns
Um Informationen über die Rolle anderer nicht-neuronaler Zelltypen zu erhalten, betrachteten die Forschenden die gesamte Zellpopulation des Mittelhirns. Untersucht wurden Schnitte von postmortalem Hirngewebe, das von fünf Patientinnen und Patienten mit idiopathischer Parkinson-Krankheit, d. h. ohne bekannte Ursache, und sechs gesunden Kontrollpersonen gespendet wurde. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler machten sich die jüngsten Entwicklungen in der Einzelzelltechnologie zunutze und verwendeten einen Ansatz, der als Einzelkern-RNA-Sequenzierung bezeichnet wird. "Wir haben insgesamt 41.000 Zellkerne sequenziert, um einen umfassenden Überblick über die Zusammensetzung der Zelltypen und ihren Beitrag zur Krankheit zu erhalten", erklärt Prof. Malte Spielmann, Inhaber des Lehrstuhls für Humangenetik an der Universität zu Lübeck, der die Studie gemeinsam mit Prof. Anne Grünewald, Leiterin der Gruppe Molekulare und Funktionelle Neurobiologie am LCSB in Luxemburg, leitete. Dies ist der erste Datensatz von Einzelkern-RNA-Sequenzierung, der jemals aus dem Mittelhirn der idiopathischen Parkinson-Krankheit gewonnen wurde.
Entdeckung eines krankheitsspezifischen Zustands von Neuronen
Auf der Grundlage der RNA-Sequenzierungsergebnisse wurden die Mittelhirnzellen, die zu den Hauptgruppen des Gehirns gehören - Glia, Neuronen, Ependym und Gefäße - in 12 kleinere Cluster sortiert, die auf 12 verschiedene Zelltypen hinweisen (siehe Abbildung). Jeder Zelltyp wurde auf der Grundlage der Expression bestimmter Markergene klassifiziert und weist unterschiedliche Merkmale auf. Einer der identifizierten Cluster entspricht den dopaminergen Neuronen. Diese Zellen sind durch einen spezifischen Marker namens Tyrosinhydroxylase (TH) gekennzeichnet und waren im Mittelhirngewebe von Parkinson-Patienten unterrepräsentiert.
Interessanterweise entdeckten die Forschenden auch eine kleine Population neuronaler Zellen in den Proben von Parkinson-Patienten. Diese Gruppe von 120 Zellen konnte nicht ohne weiteres klassifiziert werden. "Diese Zellen wurden fast ausschließlich bei Personen mit Parkinson gefunden", betont Semra Smajić, Doktorandin in der Gruppe Molekulare und Funktionelle Neurobiologie und gemeinsam mit Cesar A. Prada-Medina Erstautorin des Artikels. "Ihr Sequenzierungsprofil ähnelt dem dopaminerger Neuronen in dem Sinne, dass sie die einzigen beiden Zelltypen sind, die das CADPS2-Gen exprimieren, aber im Gegensatz zu dopaminergen Neuronen weisen sie auch eine geringe TH-Expression auf. In Anbetracht all dessen denken wir, dass dieser krankheitsspezifische Zelltyp den degenerierenden dopaminergen Neuronen entsprechen könnte". Weitere Untersuchungen sind nun erforderlich, um diese Hypothese zu bestätigen.
Reaktive Mikroglia: eine typische Signatur der idiopathischen Parkinson-Krankheit?
Da ein möglicher Faktor bei der Degeneration dopaminerger Neuronen die Entzündung ist, nahmen die Forscher auch die Entzündungsprozesse im Hirngewebe von Parkinson-Patienten und Gesunden genauer unter die Lupe. Ihre Analysen ergaben Unterschiede bei den Mikrogliazellen, dem "Reinigungspersonal" des Gehirns, das im Rahmen der Gesamterhaltung des Gehirns Krankheitserreger oder geschädigte Neuronen verdaut. Sie sind auch für das Immunsystem des Gehirns zuständig und spielen eine Schlüsselrolle bei Entzündungen.
Während die Mikroglia im Ruhezustand verzweigt sind, ziehen sie ihre Verzweigungen zurück und wechseln in eine amöboide Form, wenn sie ihre Reinigungsfunktion wahrnehmen, oder in einen reaktiven Zustand, wenn sie ihre Funktion bei der Immunabwehr erfüllen. Die Forschenden beobachteten Veränderungen in der Form der Mikroglia: In den von der Krankheit betroffenen Geweben waren die Zellen weniger verzweigt und eher amöboid, was auf ihre Aktivierung hinweist. Außerdem war die Mikroglia-Population in den Proben der Patienten überrepräsentiert, was auf ein höheres Entzündungsniveau hinweist. Bei dem Versuch, die Mikroglia zu klassifizieren, entdeckte das Team außerdem drei Subpopulationen, die sich durch eine hohe Expression von Genen auszeichnen, die an der mit der Neurodegeneration verbundenen Entzündungsreaktion beteiligt sind.
"Insgesamt deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass Mikroglia zur Degeneration dopaminerger Neuronen beitragen und dass die Gliaaktivierung ein zentraler Mechanismus bei der idiopathischen Parkinson-Krankheit ist. Das unterstreicht die Bedeutung der Neuroinflammation für die Pathologie", erklärt Prof. Anne Grünewald.
"Bisherige Studien haben sich meist auf neuronale Zellen im Mittelhirn konzentriert. Unser einzigartiger Einzelkern-RNA-Sequenzierungsdatensatz bietet nun die Grundlage für neue Forschungsansätze, die die Rolle verschiedener Zelltypen bei der Krankheit untersuchen, sowie für translationale Programme, die auf die Entwicklung immunmodulatorischer Therapien abzielen", sagt Prof. Malte Spielmann.
Referenzen:
Scientific commentary: Hsin-Pin Lin and Derek P. Narendra, Sorting out Parkinson’s disease: one cell at a time, Brain, 18 March 2022.
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