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Montag, 05.10.2015

Forschung

Die Herausforderung des Zuhörens

Prof. Dr. Jonas Obleser

Neuronale Mechanismen für unsere Aufmerksamkeitssteuerung - Für den neuen Forschungsbereich „Auditive Kognition“ an der Universität zu Lübeck werden noch Versuchspersonen gesucht

Am Institut für Psychologie der Universität zu Lübeck entwickelt sich der neue Forschungsbereich „Auditive Kognition“. Prof. Dr. Jonas Obleser, seit April 2015 Professor für Methodenlehre und Statistik in Lübeck, erforscht an der Schnittstelle von Gehör, Sprache, Psychologie und Neurowissenschaften, wie es dem Gehirn gelingt, aus bruchstückhaften akustischen Signalen ein bedeutungsvolles Ganzes zu konstruieren. Für die Studien, die Anfang 2016 starten sollen, werden noch Teilnehmerinnen und Teilnehmer gesucht.

Das gesprochene Wort ist flüchtig – das Geplauder meines Gesprächspartners wird vom Wind davongetragen und vom Lachen am Nebentisch überlagert. Für einen Augenblick erreichen die Gesprächsfetzen als Schallwellen mein Ohr und lenken das Trommelfell gemeinsam mit vielen anderen Schallwellen ab Dirigent der vielfältigen, aber unvollständigen Informationen ist das Gehirn: Um wichtige Sprachsignale leichter verständlich zu machen, richten sich Aufmerksamkeit und Kurzzeitgedächtnis auf diese Signale, während andere akustische Informationen unterdrückt werden. Ob die Ohren mit dem Alter „einfach immer schlechter werden“, ist damit gar nicht mehr so leicht zu beantworten – denn was verändert sich im Alter: nur die Ohren oder auch die neuronalen Mechanismen kognitiver Anpassungsfähigkeit?

Mit Beginn des Jahres 2016 untersucht Prof. Dr. Jonas Obleser vom Institut für Psychologie unter dem Motto „Die Herausforderung des Zuhörens“, wie sich das Gehirn im mittleren Erwachsenenalter an anspruchsvolle Hörsituationen anpasst (adaptive Kontrolle). Prof. Obleser hat 2014 für sein Projekt „The Listening Challenge“ einen Consolidator Grant des European Research Council (ERC) in Höhe von zwei Millionen Euro eingeworben. Der ERC unterstützt vielversprechende junge Wissenschaftler dabei, ihre innovative Forschung auszubauen.

Eine Form des Experiments in der auditiven Kognition ist folgende Vergleichsaufgabe: Der Studienteilnehmer hört zwei Zahlen und entscheidet darüber, welche die größere ist. Bevor aber die zweite Zahl zu hören ist, wird ein Störgeräusch eingespielt – der Studienteilnehmer muss dieses Signal also ignorieren, um die erste Zahl im Gedächtnis behalten zu können. Während des gesamten Experiments trägt er eine Haube mit Elektroden (Elektroenzephalografie); über sie wird die elektrische Aktivität von größeren Nervenzellgruppen abgeleitet: Die Hirnströme während des Experiments werden sichtbar.

Bei jungen Erwachsenen hat sich bereits gezeigt, dass die Bearbeitung solcher Aufgaben sowohl mit langsamen (1 bis 4 Schwingungen pro Sekunde) als auch mit schnellen Hirnströmen (8 bis 12 Schwingungen, sogenannte „Alpha“-Wellen) verbunden ist. Dabei werden die langsamen Hirnströme als Hinweis auf die Organisation der akustischen Reize („Ich merke mir die Zahlen“) verstanden. Die schnellen Hirnströme dienen offenbar der Aufmerksamkeitsausrichtung und damit der Unterdrückung des Störgeräuschs. In einem ersten Schritt des fünfjährigen Forschungsprojekts soll geprüft werden, ob sich die neuronalen Mechanismen adaptiver Kontrolle sowie ihre Lokalisation im Gehirn (mithilfe zusätzlicher bildgebender Verfahren) im mittleren Erwachsenenalter genauso verhalten wie bei jungen Erwachsenen.

Eine weitere Unbekannte ist, welche Personen über eine besonders effiziente adaptive Kontrolle verfügen. Können Personen mit gutem Arbeitsgedächtnis undeutliche Sprachsignale besser verstehen? Zu den untersuchten Fragestellungen gehört aber auch: Kommen selbstbewusste Personen in einer lauten Umgebung besser zurecht? Im Rahmen des Projekts soll ein Bedingungsnetz individueller neuronaler und psychologischer Prozesse entstehen, das die Prinzipien adaptiver Kontrolle über das gesamte Sinnessystem hinweg nachzeichnet.   

Das Herzstück der Studie ist ihr Längsschnitt-Design: Nach zwei Jahren wird jeder Studienteilnehmer erneut eingeladen, um mögliche Veränderungen in seiner Hörleistung zu registrieren. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, ob sich neben den neuronalen und psychologischen Prozessen auch eine verringerte sensorische Hörfähigkeit auf die adaptive Kontrolle auswirkt. Im Umkehrschluss würde sich eine neue Perspektive für die Hörgeräteakustik auftun: ein Hörgerät, das vom Gehirn und seinen Bedürfnissen gesteuert wird!

Die klassische Datenerhebung im Labor wird um kurze Hör-Tests im Internet ergänzt. Für jedermann frei zugänglich, kann hier das eigene Hörvermögen bequem von Zuhause aus getestet werden (www.auditorycognition.com). Für die Forschung bieten Online-Tests insofern großes Potenzial, als die Ergebnisse auf den Antworten einer sehr umfangreichen und damit verlässlichen Stichprobe beruhen.

Sie möchten unsere Forschung unterstützten? Wir suchen Teilnehmerinnen und Teilnehmer für unsere Studien!

In den Experimenten unserer Arbeitsgruppe bearbeiten Sie als Testperson abwechslungsreiche Höraufgaben und erproben dabei Ihr eigenes Hörvermögen. Besonders freuen wir uns über Interessierte im Alter von 40 bis 70 Jahren.

Alle Untersuchungen finden auf dem Campus der Universität zu Lübeck statt. Es wird eine Aufwandsentschädigung gezahlt. Bei Interesse freuen wir uns über Ihren unverbindlichen Anruf (0451/3101-3626) oder eine E-Mail an hoeren(at)uni-luebeck(dot)de. Gerne stehen wir Ihnen auch für weitere Fragen zur Verfügung.

Alphawellen für die Ausrichtung der Aufmerksamkeit bei jungen und älteren Erwachsenen (Abb.: Malte Wöstmann)