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Dienstag, 01.12.2020

Forschung

COVID-19

Forschende haben Blut von COVID-19-Erkrankten analysiert und wichtige Erkenntnisse gewonnen.

Blutzellen weisen auf schweren Verlauf hin

Ein Forschungsteam, zu dem auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Universität zu Lübeck gehören, analysiert frühe Warnsignale. Bei einer schweren COVID-19-Erkrankung spielen nicht nur Immunzellen eine Rolle. Auch unreife Vorläuferzellen, die normalerweise nur im Knochenmark vorkommen, finden sich bei solchen Patienten im Blut und weisen auf einen besonders schweren Verlauf bei einer COVID-19-Erkrankung hin. Das hat nun ein internationales Forschungsteam unter der Beteiligung der Klinik für Infektiologie unter Prof. Jan Rupp und des Instituts für experimentelle Dermatologie unter Beteiligung von Prof. Hauke Busch und Dr. Axel Künstner zeigen können. Die neuen Erkenntnisse wurden am Donnerstag (26.11.2020) im renommierten Fachmagazin Immunity publiziert.

Das Team wird geleitet von Prof. Philip Rosenstiel, Direktor des Instituts für klinische Molekularbiologie (IKMB) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Universitätsklinikums Schleswig-Holsteins (UKSH) und Vorstandsmitglied des Exzellenzclusters Precision Medicine in Chronic Inflammation (PMI). Dabei sind Forschende der CAU, des UKSH, der Universität zu Lübeck und den Universitäten Bonn, Köln, Tübingen und Nijmegen, des Forschungszentrums Borstel/Leibniz Lungenzentrums sowie des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) sowie Kolleginnen und Kollegen des nationalen Forschungsverbundes „Deutsche COVID-19 OMICS Initiative“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Auf der Suche nach einem Biomarker

Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV2 nehmen sehr unterschiedliche, klinische Verläufe. Während viele mild oder sogar symptomlos bleiben, können sie insbesondere bei älteren Menschen auch lebensbedrohlich werden. In diesen schweren Formen, die einen Krankenhausaufenthalt notwendig machen, können neben einer Lungenentzündung auch weitere Organe, wie das Herz oder die Niere, mitbetroffen sein. Hierbei spielt eine fehlgeleitete Entzündungsreaktion eine wichtige Rolle. Darüber hinaus zeigen weitere Befunde, dass Schäden an kleinen Blutgefäßen und eine zu starke Blutgerinnung entscheidende Faktoren für schwere Verläufe sind. So sind Blutgerinnsel in der Lunge eine der häufigsten direkten Todesursachen bei COVID-19. Welche Zelltypen hier eine Rolle spielen und ob man die Schwere des Krankheitsverlauf aus molekularen Markern vorhersagen kann, waren die Fragen, die sich das Team gestellt hat.

Hierzu haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Blut von Patientinnen und Patienten, die an den Universitätskliniken in Kiel, Bonn, Köln und Nijmegen stationär behandelt wurden, zu verschiedenen Zeitpunkten ihrer COVID-19-Erkrankung mit modernsten Sequenzierungsmethoden analysiert, um die Zelltypen, Stoffwechselvorgänge und Signalwege im Blut und den einzelnen Zellen zu bestimmen. Als Vergleichsgröße dienten Blutproben gesunder Personen.

Die Analyse hat die Signatur von zwei unreifen Zelltypen, den Vorläuferzellen von Blutplättchen, sogenannten Megakaryozyten, und unreifen roten Blutkörperchen, die charakteristisch für besonders schwere COVID-19-Erkrankungen sind, nachgewiesen. Normalerweise finden sich diese Zellen im Knochenmark und werden etwa bei einer bakteriellen Sepsis (Blutvergiftung) ausgeschwemmt. Für COVID-19 ist dies bisher so nicht beschrieben worden.

Kenntnisse durch Blut von 39 Erkrankten

Besondere Einblicke bekamen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch eine Gruppe von 39 COVID-19-Patientinnen und –Patienten, die in Nijmegen auf der Intensivstation behandelt worden waren, und besonders schwere Verläufe hatten. Personen, die an der Erkrankung verstarben, hatten eine im Krankheitsverlauf stärkere Megakaryozyten und Vorläuferzellen Signatur als Personen, die die Intensivstation später wieder verlassen konnten. Gerinnungsprobleme sind die häufigsten direkten Todesursachen bei COVID-19. Die aktivierten Megakaryozyten im Blut könnten möglicherweise Blutplättchen hervorbringen, die leichter aggregieren und zu den Gerinnungsproblemen führen. „Diese Hypothese wird insbesondere durch unsere Vorhersagen der molekularen Signalwege gestützt, die wir im Computer erstellt haben“, sagen Dr. Künstner und Prof. Busch. „Wir sehen im Verlauf der schwer kranken Patienten einerseits Sauerstoffmangelsignalwege und andererseits Marker für Zellreifung, die normalerweise nicht im Blut zu finden sind. Überlebende Patienten hingegen zeigen auf molekularer Ebene Zeichen von Reparaturmechanismen des Lungengewebes“, sagen Dr. Künstner und Prof. Busch, die die Computeranalysen in Lübeck durchgeführt haben. Prof. Busch, einer der Senior-Autoren der Arbeit, erklärt weiter: „Diese Erkenntnisse könnten hilfreich sein, frühe Warnsignale für einen schweren Verlauf zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern, damit es nicht zu diesen Notfallreaktion bei Covid-19 kommt.“

Die Studie wurde durch das bundesweite Konsortium – der „Deutschen COVID-19 OMICS Initiative“ (DeCOI) ermöglicht und entstand unter Mitwirkung von Partnern aus dem „Human Cell Atlas“, einem internationalen Konsortium zur Einzelzellanalyse.

DeCOI ist ein nationales Netzwerk zahlreicher Genomforschenden von mehr als 45 Institutionen, die in dem Konsortium ihre Expertise und Sequenzierinfrastruktur bündeln, um einen wissenschaftlichen Beitrag zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie zu leisten. DeCOI basiert auf dem von der DFG geförderten Netzwerk von Next-Generation-Sequencing (NGS)-Kompetenzzentren, das Expertise in der Sequenzierung und NGS-Datengenerierung zusammenführt. Das Deutsche Humangenomphänomen-Archiv (GHGA) und das NFDI4Microbiota-Konsortium sind die anderen großen Gründungskonsortien von DeCOI, die erweiterte Expertise in Datenmanagement und Datenanalyse anbieten.

Originalpublikation:

J.P. Bernardes*, N. Mishra*, F. Tran* et al: Longitudinal multi-omics analyses identify responses of megakaryocytes, erythroid cells and plasmablasts as hallmarks of severe COVID-19 trajectories. Immunity (2020). doi.org/10.1016/j.immuni.2020.11.017

Kontakt:

Prof. Dr. Hauke Busch
Lübecker Institut für Experimentelle Dermatologe  (LIED)
Universität zu Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH)
0431/3101-8470
hauke.busch@uni-luebeck.de

Bernardes et al. untersuchen COVID-19-Krankheitsverläufe, indem sie zeitlich aufgelöste Multi-Omics-Analysen in Blutproben von Intensivpatienten durchführen. Die Analysen identifizieren eine erhöhte Anzahl von Plasmablasten, aktivierten Megakaryozyten und roten Blutkörperchen als Kennzeichen einer schweren Erkrankung und definieren molekulare Biomarker, die mit einem tödlichen Ausgang der COVID-19-Krankheit verbunden sind.