Erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit im Mammazentrum der Universität Lübeck
Die Behandlung von Brustkrebs ist in Deutschland nicht optimal: Während in USA und England, aber auch in Skandinavien oder Italien die Sterblichkeit bei der häufigsten Krebserkrankung der Frau seit Beginn der 90er Jahre zurückgeht, können in Deutschland noch keine vergleichbaren Ergebnisse vermeldet werden. Dabei sind auch hierzulande ähnliche Erfolge möglich, glaubt Prof. Dr. Klaus Diedrich, Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität Lübeck.
"Die Sterblichkeit lässt sich um mehr als 20 Prozent senken, wenn verschiedene Punkte beachtet werden. Dazu gehören eine verbesserte Früherkennung, qualitätsgesicherte Mammographien und eine intensivere Dokumentation aller Krankheitsverläufe", sagte Diedrich, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ist.
Etwa jede zehnte Frau erkrankt in Deutschland im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Jährlich werden rund 46 000 Neuerkrankungen und 19 000 Todesfälle registriert. Angesichts dieser dramatischen Zahlen und der Komplexität der Erkrankung sind Konzepte gefordert, mit denen Patientinnen schnell und effektiv geholfen werden kann. Von besonderer Bedeutung hierbei ist, so Diedrich, dass die Betreuung der Patientinnen in interdisziplinären Brustkrebszentren sichergestellt werden muss, um die Untersuchungs- und Behandlungsqualität zu steigern. "Es wird künftig auch von Seiten des Gesetzgebers darauf hinauslaufen, dass nicht jeder, der meint, Brustkrebs behandeln zu können, dies auch darf, sondern dass die Therapie nur noch in Zentren geschieht, die dazu auch berechtigt sind."
Die Universität Lübeck hat dieser Entwicklung bereits vorgegriffen: Hier entstand Mitte 2000 eines der ersten universitären Brustkrebszentren Deutschlands. Seitdem kooperieren die verschiedenen Fachrichtungen intensiver als zuvor; Diagnose, Therapie und Nachsorge finden zum Wohl der Patientinnen praktisch "unter einem Dach" statt. So werden Doppeluntersuchungen vermieden, Ergebnisse schneller weitergeleitet und Diagnosen entsprechend früher gestellt.
Prof. Diedrich, Leiter des so genannten Mammazentrum Lübeck, erläutert, wie diese interdisziplinäre Zusammenarbeit funktioniert: "Für die Diagnostik ist der Radiologe zuständig, der die Röntgenaufnahme der Brust, die Mammographie, anfertigt. Der Gynäkologe operiert und legt in Absprache mit seinen Kollegen die weitere Behandlung fest. Der Pathologe bestätigt oder verneint mit der Gewebeanalyse die Verdachtsdiagnose. Der Strahlentherapeut ist für die Bestrahlung nach der Operation zuständig, der plastische Chirurg für die Rekonstruktion der Brust, wenn sie nicht erhalten werden konnte. Sind Tumorzellen bereits in die Knochen gewandert, wird der Nuklearmediziner einbezogen,und handelt es sich um eine erbliche Form der Erkrankung, kommen auch die Humangenetiker hinzu. Nicht zu vergessen die Psychoonkologen, die Einfluss auf das seelische Befinden der Patientinnen nehmen. In regelmäßigen Tumorkonferenzen, an denen Experten aller Disziplinen teilnehmen, wird für jede Patientin eine individuelle Therapieplanung festgelegt, die dem neuesten Stand der Wissenschaft entspricht."
Dass in Zentren dieser Art die Sterblichkeit gesenkt werden kann, liegt weniger an den medizinischen High-Tech-Geräten als vielmehr an der besseren und schnelleren Abstimmung der Experten untereinander und an der größeren Erfahrung aller Mitarbeiter. Dies wirkt sich positiv auf den Faktor Zeit aus: Dauerte es früher drei bis vier Tage, bis nach einer verdächtigen Mammographie und daraus folgender operativer Gewebsentnahme (Biopsie) fest stand, ob es sich um ein bösartiges Karzinom oder eine gutartige Wucherung handelte, wird heute in aller Regel eine wenig belastende Vakuumbiopsie durchgeführt, deren Untersuchungsergebnis meist noch am selben Tag den Frauen mitgeteilt werden kann - dies ist für die angstbesetzte Situation, in der sich die Patientin befindet, von großer Bedeutung.
Auch die Forschung profitiert von der Zentrumsbildung, wie Prof. Diedrich erklärt: "Dank optimierter Behandlung erzielen wir bessere Ergebnisse. Unsere Patientinnen sind beinahe ausschließlich in große, oft internationale Therapiestudien eingebunden. Ziel der Bestrebungen ist es, die Therapien soweit zu verbessern, dass mehr Patientinnen geheilt werden können bzw. dass längere Überlebenszeiten mit weniger behandlungsbedingten Nebenwirkungen erzielt werden."
Wichtig hierfür ist z.B. die hormonelle Behandlung nach der Operation. Etwa 70 Prozent aller Mammakarzinome sind hormonabhängig, das heißt, Östrogene, die auch nach den Wechseljahren noch produziert werden, bieten einen Wachstumsreiz für den Tumor. Seit vielen Jahren werden diese Patientinnen mit Antiöstrogenen behandelt. Antiöstrogene wiederum erhöhen jedoch die Gefahr einer Krebserkrankung der Gebärmutter. Schonender und selektiver wirken dagegen so genannte Aromatasehemmer. Östrogene werden im Körper aus Androgenen synthetisiert. Für diesen Umbauprozess ist das Enzym Aromatase erforderlich. Blockiert man nun das Enzym, wird die körpereigene Östrogenproduktion gestoppt und dem Tumorwachstum die Grundlage entzogen.
"Dieser neue Therapieansatz wird seit einiger Zeit erfolgreich beim fortgeschrittenen, metastasierten Brustkrebs angewandt. Jetzt haben wir Konzepte entwickelt, die Aromatasehemmer direkt nach der Operation begleitend zu geben - ganz unabhängig davon, ob der Tumor sich schon im Körper ausgebreitet hat", erläutert Diedrich. Unter Leitung des Lübecker Mammazentrums wurde jetzt eine große bundesweite Studie abgeschlossen, an der 1000 Patientinnen aus 25 Kliniken teilgenommen haben. Diedrich: "Erste Ergebnisse werden im ersten Halbjahr 2003 vorgestellt. Doch soviel können wir schon sagen: Bezogen aufs Tumorwachstum ist die Wirksamkeit beider Medikamente gleich günstig. Unter Aromatasehemmern wird dieses Therapieziel jedoch mit deutlich weniger Nebenwirkungen erreicht."
In den USA hätten Zwischenergebnisse einer ähnlich angelegten Untersuchung - an der so genannten ATAC-Studie haben weltweit 9366 Patientinnen teilgenommen - dazu geführt, dass Aromatasehemmer zur hormonellen Therapie der ersten Wahl geworden sind und die Antiöstrogene abgelöst haben. Auch dank der unter Lübecker Leitung stehenden Forschungen "erwarten wir für Deutschland jetzt eine ähnliche Entwicklung", erklärt Prof. Diedrich.
Eine spezielle Mammasprechstunde findet in der Poliklinik der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe der Universität Lübeck statt. Anmeldungen telefonisch unter 0451-500 2158.
Interview mit Prof. Dr. Klaus Diedrich, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie Direktor der Lübecker Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe:
"Wird das Karzinom im frühen Stadium erkannt, hat die Patientin eine Überlebenschance von mehr als 95 Prozent"
Herr Prof. Diedrich, welche Rolle spielt die Früherkennung beim Mammakarzinom?
Prof. Diedrich: Eine entscheidende. Je früher ein Mammakarzinom entdeckt wird, desto größer sind die Heilungschancen. Bei einem Karzinom, das nicht größer als einen Zentimeter ist und bei dem die Lymphknoten frei von Tumorzellen sind, hat die Patientin eine Überlebenschance von über 95 Prozent. Deshalb ist es auch so wichtig, dass ab 1. Januar 2003 alle Frauen zwischen 50 und 69 Jahren regelmäßig alle zwei Jahre eine Mammographie durchführen lassen können. Mit dieser neuen gesetzlichen Regelung steigen die Chancen, ein Karzinom so früh wie möglich zu erkennen.
Aus verdächtigen Mammographien ergeben sich häufig Gewebeentnahmen. In Deutschland werden etwa 100 000 solcher operativer Biopsien pro Jahr durchgeführt. Aber nur in jedem fünften Fall wird tatsächlich ein bösartiger Tumor entdeckt. Lässt sich nicht ein Teil der belastenden Biopsien vermeiden?
Die Indikation für eine Gewebsprobe ergibt sich aus der Mammographie - und die ist abhängig von der technischen Qualität des Geräts und von der Qualität des Arztes, der die Aufnahme beurteilt. Gefordert wird seit langem, dass immer zwei Radiologen eine Mammographie begutachten und nie einer allein die Entscheidung über eine Biopsie trifft. Viele unnötige Biopsien lassen sich außerdem durch den vermehrten Einsatz schonenderer Verfahren wie etwa der Vakuum-Biopsie vermeiden: Hier wird ohne Betäubung unter Ultraschall- oder Röntgenkontrolle nur eine geringe Menge verdächtigen Gewebes entnommen. Dies macht einen operativen Eingriff mit Narkose überflüssig und hilft ebenso zur Abklärung verdächtiger Befunde.
Zur Operation: Deutsche Chirurgen müssen sich immer noch vorhalten lassen, zu selten brusterhaltend zu operieren. Woran liegt es?
Wir operieren in Lübeck jährlich etwa 250 Brustkrebspatientinnen. In mehr als 70 Prozent der Fälle bleibt die Brust erhalten. Bei 20 bis 30 Prozent der Frauen ist die Erkrankung bereits zu weit fortgeschritten, wenn sie in die Klinik kommen. Wenn ein Karzinom an verschiedenen Stellen der Brust wächst, ist es nur schwer möglich, alle Herde zu entfernen und die Brust dennoch zu erhalten. Trotzdem können in Deutschland die Möglichkeiten einer schonenden Chirurgie sicher noch besser ausgeschöpft werden. Einen Weg hierhin bietet die präoperative oder auch neoadjuvante Chemotherapie: Ist der Tumor sehr groß, wird er zunächst drei Monate mit Zellgiften attackiert. Dies führt sehr häufig zum Einschmelzen des Karzinoms, das dann erfolgreich operiert werden kann, ohne die Brust zu entfernen.
Welchen Stellenwert haben die medikamentösen Weiterentwicklungen der vergangenen Jahre?
Nach Operation und Nachbestrahlung folgt heute beinahe immer eine begleitende medikamentöse Behandlung, eine adjuvante Chemo- oder Hormontherapie. Diese sollte so wirksam aber auch so wenig belastend wie möglich sein. Dies wird mit den neuen Medikamenten immer besser erreicht. Mit dem Antikörper Herceptin gibt es einen neuen Weg, eine Art Immuntherapie, mit der das Krebswachstum gestoppt werden kann. Neue Zytostatika, etwa die Taxane, sind hoch wirksam und effektiver als die bisherigen Chemotherapien. Insgesamt laufen - auch hier bei uns - mehrere Studien mit vielversprechende medikamentösen Neu- und Weiterentwicklungen.
Wie sieht die Brustkrebs-Therapie der Zukunft aus?
Es wird sich noch viel tun. In einigen Zentren - noch nicht in Deutschland - wird bereits eine intraoperative Bestrahlung durchgeführt. Hierbei wird eine Sonde in das operierte Karzinomgebiet gelegt, die das Areal für einige Minuten bestrahlt. Dies kann die sechswöchige Nachbestrahlung, der sich alle Brustkrebspatientinnen nach einer Operation unterziehen sollten, eines Tages vielleicht ersetzen. Auch die belastende Entfernung der Lymphknoten, die derzeit noch zum Standard gehört, wird es bald vielleicht nicht mehr geben. Der Operateur kann sich auf den so genannten Wächter-Lymphknoten beschränken, der ihm Aufschluss gibt, ob sich bösartige Krebszellen bereits im Körper verteilt haben. Die künftig Behandlung wird weit weniger belastend für die Patientin, aber mindestens genauso erfolgreich sein.
Wie steht es um das Gesundheitsbewusstsein von Frauen?
An den verschiedenen Krebsfrüherkennungsprogrammen nimmt leider nur etwa ein Drittel der Frauen teil. Wir müssen immer wieder darauf hinweisen: Die einzige Chance, sehr erfolgreich zu sein, ist die möglichst frühe Erkennung. Ich hoffe, dass noch mehr Frauen zur Vorsorge gehen, wenn ab 2003 die gesetzlichen Bestimmungen hierfür erleichtert werden. Wir können die häufigste krebsbedingte Todesursache der Frau nur dann wirksam bekämpfen, wenn möglichst viele Frauen an dem neuen screening-Programm teilnehmen und für sie die regelmäßige Mammographie zur Routine wird.
Uwe Groenewold / Pressedienst Universität zu Lübeck
für die Ukraine