Antrittsvorlesung zur Phoniatrie und Pädaudiologie von Prof. Dr. Rainer Schönweiler am 3. Juli (17:00 Uhr, Hörsaal T 1)
Binaurales Hören beruht auf dem Hören mit zwei Ohren. Mit dem binauralen Hören kann das Gehirn akustische Informationen über die Schallrichtung und Entfernung einer Schallquelle auswerten, die beim Hören mit einem einzigen Ohr verborgen bleiben.
Die Alltagsrelevanz dieser akustischen Informationen scheint in Frage gestellt, wenn man in Lehrbüchern liest, dass bei einem Kind mit einer angeborenen einseitigen Schwerhörigkeit die Sprachentwicklung normal verlaufen soll und daher keine Behandlung notwendig sei. Deshalb gibt man sich sogar in einigen Ländern beim Neugeborenenhörscreening mit einem “pass” auf einem Ohr zufrieden und testet dann das andere Ohr nicht mehr, obwohl dies sogar taub sein könnte.
Der Grad der Behinderung wird bei einer einseitigen Taubheit mit nur 15 % festgesetzt, bei einer einseitigen mittelgradigen Schwerhörigkeit nur mit 10 % und bei geringgradigen Schwerhörigkeit sogar nur mit 0 %. Die Betroffenen aber schätzen ihr Hör- und Verstehproblem viel schlimmer ein. Bei der Hörgeräteversorgung ist die Banalisierung des binauralen Hörens ebenfalls anzutreffen, denn nach den Hilfsmittelrichtlinien können, aber müssen nicht, beidseitige Schwerhörigkeiten beidohrig mit Hörgeräten versorgt werden: eine einseitige Versorgung wird als ausreichend angesehen, das andere Ohr wird als nicht mehr notwendig betrachtet.
Daher stellt sich die Frage, ob das beidohrige Hören wirklich nur ein Luxus ist. Neuerdings spricht jedoch viel für eine Notwendigkeit, denn Kinder mit einer unversorgten einseitigen Schwerhörigkeit bleiben eine Schulnote unter ihren normalhörenden Klassenkameraden und sie erreichen auch häufiger die nächste Klassenstufe nicht. Und Erwachsene, die immer gut gehört haben und akut ertauben, leiden enorm unter ihrer einseitigen Schwerhörigkeit und können sich mit der für sie vorgesehenen Nulltherapie nicht abfinden.
In der Vorlesung wird erläutert, wie das Nervensystem durch binaurales Hören die verborgenen akustischen Informationen nutzbar macht, welche Vorteile dadurch im Alltag entstehen und welche Nachteile es hat, wenn das binaurale Hören gestört ist. Es wird besprochen, wie man das binaurale Hören messen kann und welche Behandlungsmöglichkeiten es in einer Bandbreite zwischen Paukenröhrchen und Cochlea Implantat gibt.
Aktuelle Gerichtsurteile sprechen Patienten sogar das Recht auf binaurales Hören durch Cochlea Implantation auf einem z.B. durch Hörsturz ertaubten Ohr auch bei einer Normalhörigkeit auf der anderen Seite zu. Offensichtlich findet zum binauralen Hören gerade ein “Umdenken” statt: vom Irrglauben eines “Luxus” zur Gewissheit der “Notwendigkeit”.
(Umhabilitation im Fachgebiet Phoniatrie und Pädaudiologie)
für die Ukraine