1981-2021
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurde die ärztliche Ethik auf massivste Weise missachtet. Dies gipfelte in oft tödlich verlaufende Menschenversuche. Mit den Nürnberger Ärzteprozessen von 1946 – 1947 wurden diese Verbrechen zum Teil aufgearbeitet. Dabei wurde ein erster internationaler Kodex für Forschung am Menschen erarbeitet. 1964 folgte die „Deklaration von Helsinki“, die noch heute in aktualisierter Form die internationale Grundlage für die Forschung am Menschen darstellt.
Während im Jahr 1973 an den Universitäten Ulm und Göttingen bereits die ersten Ethikkommissionen eingerichtet wurden und im Jahr 1985 die Verpflichtung zur ethischen Beratung bei Forschung in die Musterberufsordnung für Ärzte und Ärztinnen aufgenommen wurde, ging die Ethikkommission an der Medizinischen Hochschule Lübeck im Jahr 1981 an den Start. Vorsitzender war damals Prof. Dr. med. Otto Pribilla (ehem. Direktor des Instituts für Rechtsmedizin).
Von 1990 bis 2000 übernahm Prof. Dr. med. Manfred Oehmichen (ehem. Direktor des Instituts für Rechtsmedizin) dieses Amt, ihm folgte Prof. Dr. med. Diedrich von Engelhardt (ehem. Direktor des Instituts für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung), der der Kommission bis 2004 vorstand. Von 2004 bis 2013 stand die Kommission unter Leitung von Prof. Dr. med. Dr. phil. Heiner Raspe (ehem. Direktor des Instituts für Sozialmedizin). Seit dem Jahr 2013 hat Prof. Dr. med. Alexander Katalinic (Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie) den Vorsitz der Ethikkommission inne. Prof. Dr. med. Marianne Schrader (plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie) wurde im Jahr 2000 in die Ethikkommission entsandt, aus der sie erst im Jahr 2021 ausschied. Dies macht sie zum langjährigsten und treuesten Mitglied der Kommission. In der Rangreihe langjähriger Mitglieder folgen Heidrun Müller (Krankenschwester und Pflegeleitung i.R. , Mitglied der Ethikkommission 1992 – 2012) und Dirk Stojan (ehem. Präsident des Amtsgerichts Lübeck, Mitglied der Ethikkommission 1992 – 2010).
Aufgabe der Ethikkommission
Die Aufgabe der Ethikkommission ist die ethische Beratung und Bewertung von Forschungsvorhaben der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität zu Lübeck, die mit oder am Menschen forschen wollen. Dabei wird der Begriff der Forschungsethik in seiner vollen Breite interpretiert und berücksichtigt. Es geht nicht nur darum, die Risiken von Forschung für die Patientinnen und Patienten gegenüber einem möglichen Nutzen zu bewerten oder zu prüfen, ob mit den Aufklärungsmaterialien eine informierte Einwilligung zur Forschung erreicht werden kann. Es geht auch um eine grundlegende Bewertung, ob mit dem vorgelegten Forschungsvorhaben die geäußerte Fragestellung auf einem guten methodischen Qualitätsniveau überhaupt beantwortbar ist. Denn schlechte Forschung, die nicht ihr Ziel erreichen kann, ist per se unethisch.
Herausforderungen der Ethikkommission
Große Aufmerksamkeit finden in der Ethikkommission die Studien, bei denen Nicht- oder nur eingeschränkt Einwilligungsfähigen eingeschlossen werden sollen. Dies können z.B. Menschen sein, die im Rahmen eines Notfalls nicht ansprechbar in die Klinik eingeliefert werden, Patientinnen und Patienten mit Demenz oder auch Kinder und Jugendliche. Die ethische Beurteilung und die Einschätzungen des mutmaßlichen Willens der Patientinnen und Patienten ist hier eine ganz besondere Herausforderung.
Ethisch ebenso herausfordernd sind Studien, bei denen eine Intervention (z.B. Medikamente oder neue Operationsverfahren) erstmalig am Menschen erprobt werden. Die Sicherheit der Probandinnen und Probanden steht hier an erster Stelle. Ein Blick auf die jährlichen Tätigkeitsberichte der Lübecker Ethikkommission zeigt, dass sie in den dokumentierten letzten 20 Jahren rund 5.500 Neu-Anträge bearbeitete. Im Vergleich zum Jahr 2000 hat sich das Antragsaufkommen im Jahr 2020 verdreifacht. 505 Anträge sind 2020 bei der Ethikkommission eingegangen und von der Geschäftsstelle und den Mitgliedern geprüft worden. Ein Drittel dieser Anträge (178) wurden in den monatlichen Kommissionssitzungen beraten. Etwa 20% der Anträge konnten kommentarlos positiv bewertet werden. Zu rund 70 % wurden Hinweise gegeben oder Nachforderungen gestellt, eine positive Votierung erfolgte erst nach Überarbeitung durch die Antragstellenden. In etwa 10 % der behandelten Fälle war zunächst keine Votierung möglich. In den letzten Jahren wurde aber nur etwa einer von hundert beratenen Anträgen abschließend negativ bewertet.
Die Ethikkommission heute
Heute ist die Ethikkommission ein multidisziplinäres Team verschiedenster Professionen und Kompetenzen (Spezialistinnen und Spezialisten der Medizin, Gesundheitswissenschaften, Ethik, Psychologie, Biometrie, Juristinnen und Juristen sowie Laien). Die Mitglieder engagieren sich ehrenamtlich, kämpfen sich durch die vielen Anträge und tragen mit ihren kritischen Beiträgen zur Verbesserung der Patienten- und Probandensicherheit und Forschung an der Universität zu Lübeck bei. Allen Mitgliedern, die die Ethikkommission in den letzten 40 Jahren so tatkräftig unterstützt haben, gilt größter Respekt und Dank.
Prof. Dr. Alexander Katalinic
Dr. Angelika Hüppe
für die Ukraine