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Studium Generale im Sommersemester 2008

"Mensch - Evolution - Genom" lautete das Thema des Lübecker Studium Generale im Sommersemester 2008. Die Vorträge standen im Rahmen der Reihe "Was ist der Mensch? Natur - Kultur".

MENSCH - GENOM* - EVOLUTION
(* von griech. "genos" = Abstammung, Nachkommenschaft, Geschlecht: die Gesamtheit des Erbguts eines Organismus)

Nur 22 Jahre  war Charles Darwin alt, als er 1831 mit der "Beagle" in See stach. Und es war nicht  klar, ob er jemals lebend zurückkehren würde. Seine Begegnung mit den "Wilden" auf Feuerland erschreckte ihn, er erschauerte vor dieser völligen Fremdheit, vor diesen anderen Menschen, die im Gesicht bemalt waren und die seltsame Laute ausstießen. Es war ein Erkenntnis schaffender Schreck, denn eine Frage ließ ihn fortan nie wieder los: Was ist ein Mensch? Im Jahr 1859 begründete er mit seinem Werk "On the Origin of Species" die moderne Evolutionslehre, die unser Welt- und Menschenbild revolutionierte: Nicht Gott, sondern die Natur hat den Menschen erschaffen. Die Ordnung des Lebens auf der Erde ist das Resultat eines evolutionären Prozesses.

Die Arten haben sich in den vergangenen vier Milliarden Jahren durch kleinste zufällige Veränderungen (Mutation) und deren erfolgreiches Bestehen oder Aussterben im täglichen Überlebenskampf (Selektion) entwickelt. Die gesamte Komplexität auf Erden, selbst die menschliche Existenz und das Bewusstsein, sind durch diesen prinzipiell ziellosen Prozess entstanden. Die Gene funktionieren dabei beim Menschen genau so wie bei einem Bakterium nach einem universellen Prinzip, das für alle Lebewesen auf diesem Planeten gilt. Der Schlüssel zum Verständnis des Lebens überhaupt ist der genetische Code. Heute ist das Erbgut des Menschen - der Bauplan für den Homo sapiens - sequenziert, die Funktion vieler Gene ergründet, aber das Genom noch lange nicht vollständig verstanden.  

Der Mensch hat wahrscheinlich 30 000 Gene, nur 2000 mehr als der Wurm Caenorhabditis elegans. Die menschliche DNA ist zwei Meter lang. Sie liegt aufgerollt in fast jedem unserer Zellkerne, von denen einer 50mal kleiner ist als der Punkt am Ende dieses Satzes. Das Erbgut von Mensch und Schimpanse ist nahezu identisch, das Genom bzw. seine DNA-Abschnitte stimmen zu 98,6 % überein. Doch kleinste  Abweichungen haben zu großen Unterschieden geführt, etwa zum dreifach größeren Hirnvolumen des Menschen, weil jedes Gen Tausende unterschiedlicher Genprodukte in unterschiedlichsten Mengen herstellen kann. Die letzten gemeinsamen Vorfahren, bevor sich die Entwicklungslinien von Mensch und Schimpanse trennten, lebten vor rund fünf bis sieben Millionen Jahren in Afrika. Wo genau verbergen sich jedoch jene "Schaltstellen", die den Ahnen den Weg wiesen zum aufrechten Gang und die uns die Sprache und das Bewusstsein ermöglichten?

Das Modell der Evolutionstheorie steht heute unter Druck. Und zwar nicht nur von Seiten fanatischer Religiöser, den Kreationisten, oder den Anhängern des "Intelligent Design", sondern es ist auch die moderne Biologie selbst, deren Forschungsergebnisse die genialen, aber einfachen Annahmen Darwins auf den Prüfstand stellen. Die Erkenntnisstrategie der Darwin"schen Evolutionsbiologie interpretiert das Ziel oder den Zweck von Veränderungen in die Natur hinein. Doch kann ein so simples "Rückschau-Prinzip" wirklich erklären, warum die Welt so aussieht, wie sie heute ist? Wo setzt die Selektion an, am Gesamtorganismus zum Beispiel oder an seinen Zellen? Gibt es das "egoistische Gen" wirklich, das Richard Dawkins postuliert hat? Die neue "Theorie der Entwicklungssysteme" weist heute darauf hin, dass es nicht die Organismen allein sind, die sich im Laufe der Jahr-Millionen verändert haben, sondern "Organismus-Umwelt-Systeme" beteiligt sind. Heute ist es nicht nur unsere natürliche Umwelt, die uns prägt, sondern auch komplexe soziale Umwelten, in denen wir mit Hilfe erworbener kultureller Muster überleben lernen. Gleichzeitig verändern wir die Gesellschaften und den Planeten, weil wir sie unseren Bedürfnissen anpassen. Gibt es heute überhaupt noch eine "normale Unterscheidung zwischen Biologie und Kultur" (Karola Stotz)?

Der Genbegriff selbst ist in die Krise geraten, die Sequenzierung des Genoms brachte nicht die erwartete "Programmierbarkeit" des Menschen. Denn nicht die Gene allein legen die Abläufe im menschlichen Körper fest, vielmehr sind Enzyme und die zelluläre Maschinerie an der Synthese und Speicherung einer genetischen Information beteiligt und können so sogar Umwelteinflüsse vererben, wie die Epigenetiker zeigen konnten. Doch werden die Enzyme ihrerseits wieder durch die ihnen zugrundeliegende DNA-Sequenzen kodiert. Wer ist jetzt der Instrukteur und wer der Ausführende? Es scheint, als könne sich das "Atom der biologischen Evolution", das Gen, in komplexe Rückkoppelungsschleifen auflösen. (D. Kömpf)

Mensch - Evolution - Genom (Grafik: Hanne Kühner)

24.4.2008: Tanz der Gene - Evolutionstheorie in der Krise (Prof. Karola Stotz, Sidney)

22.5.2008: Humangenomprojekt (HUGO) - Seine Folgen für Medizin und Menschenbild (Prof. Dr. Karl Sperling, Berlin)

19.6.2008: Epigenetik - Wenn Natur auf Kultur trifft (Dr. Ohad Parnes, Berlin) - Der Vortrag musste wegen Erkrankung des Referenten leider kurzfristig ausfallen!

10.7.2008: Kultur in der Natur - Wie Tiere Traditionen pflegen (Prof. Volker Sommer, London)