"Das Schöne" lautet das Thema des Lübecker Studium Generale im Wintersemester 2008/09. Hier genauere Angaben zum Inhalt der einzelnen Vorträge und zur Person der Referenten und Referentinnen.
Parallel zum alltäglichen Schönheitskult der letzten Jahrzehnte haben sich in Biologie und Psychologie Forschungstrends entwickelt, die sehr nüchtern nach der Funktion von physischer Attraktivität fragen. Charles Darwins Jahrzehnte-langes Nachdenken über die Frage, warum die natürliche Evolution so spektakuläre "Ornamente" wie das Pfauenrad ausgebildet hat, ist der Leitfaden dieser Diskurse. Im Rekurs auf Darwin diskutiert der Vortrag einige der Hypothesen zu den lebensbegünstigenden Vorteilen, die wir uns durch und von Schönheit versprechen. Risiken und Nebenwirkungen werden ebenfalls erörtert.
Winfried Menninghaus, Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Gastprofessuren an der Hebrew University of Jerusalem, der University of California, Berkeley (USA), der Yale University (USA) und der Princeton University. Seit 2002: Ordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Seit 2007: Sprecher des Exzellenzclusters "Languages of Emotion" an der Freien Universität Berlin. - Arbeitsschwerpunkte: antike Rhetorik und Poetik; philosophische, psychologische und evolutionäre Ästhetik; Literatur und Poetik seit 1750; Leitbilder, Grenzphänomene und Funktionen des Ästhetischen in Mythologie und Lebenswelten. - Monographien: Walter Benjamins Theorie der Sprachmagie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1980. - Paul Celan - Magie der Form. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1980. - Artistische Schrift. Studien zur Kompositionskunst Gottfried Kellers. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1982. - Schwellenkunde. Walter Benjamins Passage des Mythos. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986. - Unendliche Verdopplung. Die frühromantische Grundlegung der Kunsttheorie im Begriff absoluter Selbstreflexion. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1987. - Mugen no nijuka (= japanische Übersetzung der Habilitationsschrift Unendliche Verdopplung). Tokyo: Hosei University Press,1992. - Lob des Unsinns. Über Kant, Tieck und Blaubart. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1995. - In Praise of Nonsense. Kant and Bluebeard. Stanford: Stanford University Press, 1999. - Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1999. - Shikiigaku (= japanische Übersetzung des Buches Schwellenkunde). Tokyo: Gendai Shichosha, 2000, 196 S. - Das Versprechen der Schönheit. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003, 386 S. - Disgust. Theory and History of a Strong Sensation. Albany, N.Y.: SUNY Press, 2003, 471 S. - Hälfte des Lebens. Versuch über Hölderlins Poetik. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005.
Die Schönheitsformel - Erforschung der menschlichen Attraktivität (Dr. Ulrich Renz, Lübeck, 18.12.2008)
Das Versprechen der Schönheit (Prof. Winfried Menninghaus, Berlin, 20.11.2008)
"Neue Musik" tut sich noch immer schwer damit, beim Konzert- und Opernpublikum "anzukommen", ein Jahrhundert nach dem ersten Aufkommen der Zwölftonmusik. Neue Musik - ist sie ein monströser Irrweg der abendländischen musikalischen Entwicklung? Dagegen können die aktuellen musikalischen Produkte der Unterhaltungsbranche in Rock, Pop und Musical weltweit Erfolge bei einem großen Publikum feiern ("Deutschland sucht den Superstar"). Woran liegt das? Klingt "Neue Musik" möglicherweise nicht "schön", allen Intentionen großer Komponistenpersönlichkeiten eines ganzen Jahrhunderts zum Trotz? Was bedeutet es, wenn wir Musik als "schön" empfinden? Welchen Stellenwert haben dabei die Werke selbst, ihre Interpreten, der Ausdruck? Welche Rolle spielt die Emotion beim Hören von Musik, und wie wird diese hervorgerufen? Günter Binge geht an Hand von Hörbeispielen der Frage nach, was "Schönheit" in der Musik bedeuten kann und welche Gründe es dafür geben mag, dass "Neue Musik" es dabei offenbar so schwer hat.
Günter Binge, Professor für Gesang an der Musikhochschule Lübeck, absolvierte vor dem Gesangstudium in Hamburg ein Schulmusik- und Germanistikstudium (Prof. Dr. Hans Mayer) in Hannover. Er ist Preisträger mehrerer Wettbewerbe, als Sänger gewann er 1974 einen 1. Preis in Berlin für Musik des 20. Jahrhunderts. Als lyrischer Bariton sang Günter Binge die großen Opernpartien seines Fachs, zunächst an den Theatern in Aachen und Saabrücken, danach als Gast an Bühnen im In- und Ausland. Daneben engagierte er sich von Beginn an für "Neue Musik" und arbeitete dabei mit bedeutenden Komponistenpersönlichkeiten des 20.Jahrhunderts zusammen. So sang er Ur- und Erstaufführungen von Hans Werner Henze, Karl- Heinz Stockhausen, Günter Bialas, Franz Hummel, Aribert Reimann, Ernst Helmuth Flammer, Heinz Winbeck und anderen. (Rundfunkaufnahmen mit dem NDR (25. Tage der Neuen Musik in Hannover), dem WDR, Radio Bremen, dem Bayerischen Rundfunk usw. - 1986 erhielt Günter Binge einen Ruf als Professor an die Musikhochschule Lübeck, wo er 1988 für drei Jahre das Amt des Rektors übernahm. In diese Zeit fällt seine Initiative für einen mehrtägigen Workshop mit dem letzten Vertreter der "Neuen Wiener Schule" um Schönberg, Berg und Webern: Der 89-jährige Ernst Krenek kam für eine Arbeitswoche zu einem Symposion nach Lübeck, um hier Kammermusik, Lieder und eine kleine Oper unter seiner Anleitung aufzuführen. Es war der letzte öffentliche Auftritt von Krenek dieser Art, der ein halbes Jahr später bei Los Angeles starb. - Günter Binge bildet an der Musikhochschule Lübeck Sänger aus, von denen heute etliche an den großen Bühnen der Welt singen. Der Tenor Klaus-Florian Vogt, der gefeierte "Stolzing" bei den Bayreuther Festspielen, kommt aus der Gesangsklasse von Günter Binge; er erhielt 2008 den Kunstpreis des Landes Schleswig-Holstein und singt Heldentenorpartien an der Wiener Staatsoper, der Metropolitan Opera New York, Covent Garden London, Scala di Milano, Bayreuther Festspiele usw. Neben der praktischen Arbeit als Sänger und Gesangslehrer ist Günter Binge Verfasser verschiedener Essays zu Themen im Zusammenhang mit dem Phänomen "Gesang" sowie zu disziplinübergreifenden Themen (Kommunikation, Musik, Gesellschaft), er leitete den musikologischen Teil im Forschungsprojekt "WissPro" (Bundesbildungsministerium), zurzeit arbeitet er an Programmen für die Klanganalyse von Sängerstimmen.
Ästhetische Bewertungen und Urteile sind Bestandteile unseres alltäglichen Erlebens. Sie spielen eine wichtige Rolle für den Genuß von Musik, Theater, Literatur, die Auswahl von Kleidung, Nahrung, Einrichtungen und vielem mehr. Deren Individualität und Vielfalt lassen eine fundierte wissenschaftliche Betrachtung vielfach sehr schwer oder
gar in Teilen unmöglich erscheinen. Ihre psychologischen Aspekte untersucht die Experimentelle Psychologie traditionell in der Experimentellen Ästhetik. Neuere, eher interdisziplinäre, neurowissenschaftliche Experimente und Theorien ermöglichen einen faszinierenden Blick auf die biologischen Phänomene, werfen aber auch neue Fragen auf. Wie sind Funktionen ästhetischen Urteils im Gehirn realisiert? Wie lassen sich individuelle geschmackliche Unterschiede erklären? Werden diese dennoch von übereinstimmenden neuronalen Netzwerken generiert? Anhand dieser Beispiels wird ersichtlich, wie neuere Befunde die Funktion des ästhetischen Urteils anders hinterfragen und zu deuten versuchen.
Thomas Jacobsen, Priv.-Doz. Dr., geb. 1967, Studium der Geographie an der Universität Hamburg, der Psychologie und Philosophie an der Freien Universität Berlin (1989 - 1994); Promotion 2000, Habilitation 2004, zur Zeit Oberassistent am Institut für Psychologie I der Universität Leipzig, Professur Kognitive einschließlich Biologische Psychologie. - Publikationen (Auswahl im Bereich der Psychologie der Ästhetik): Jacobsen, T. (2006). Bridging the Arts and Sciences: A Framework for the Psychology of Aesthetics. Leonardo, 39(2), 155-162. Jacobsen, T., Schubotz, R. I., Höfel, L. & v. Cramon, D. Y. (2006). Brain correlates of aesthetic judgment of beauty. NeuroImage, 29(1), 276-285. Jacobsen, T. & Höfel, L. (2003). Descriptive and evaluative judgment processes: Behavioral and electrophysiological indices of processing symmetry and aesthetics. Cognitive, Affective & Behavioral Neuroscience, 3(4), 289-299.
Klingt neue Musik schön? (Prof. Günter Binge, Lübeck, 12.2.2009)
Schon ein hübsches Baby erfährt mehr Zuwendung als ein weniger hübsches. Die schöne Kellnerin bekommt mehr Trinkgeld als ihre weniger ansehnliche Kollegin, der attraktivere Bewerber ein höheres Gehaltsangebot. - Warum hat Schönheit derartig viel Macht über uns? Und was heißt eigentlich "schön"? Was zieht uns an einem schönen Gesicht so magisch an? Und überhaupt: Ist Schönheit nicht relativ? In seinem Vortrag macht Ulrich Renz seine Zuhörer mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Phänomen der menschlichen Schönheit bekannt.
Dr. Ulrich Renz, geb. 1960, wuchs im schwäbischen Remstal auf. Nach Abitur und Zivildienst zwei Jahre Studium der französischen Literatur, Spanisch und Russisch in Paris. Ab 1983 Medizinstudium in Lübeck. Nach zwei ärztlichen Berufsjahren verlegte er sich vollständig auf das Büchermachen. Schon während des Studiums hatte er angefangen Medizinbücher zu schreiben, namentlich die Kitteltaschenbuch-Reihe »Klinikleitfaden«, die er zusammen mit Arne Schäffler begründete. Ab 1989 arbeitete er für die Medizin- und Wissenschaftsverlage Jungjohann und Gustav Fischer, zunächst als Lektor, dann als Geschäftsführer. Seit 1998 freier Autor. - Veröffentlichungen: die Bücher "Die Kunst, weniger zu arbeiten (2001), "Was ich mir wünsche, ist ein Clown" (2003), "Schönheit - Eine Wissenschaft für sich" (2006) sowie die Kinderkrimis der Reihe "Motte & Co", "Auf der Spur der Erpresser" (2005) und "Auf der Jagd nach Giant Blue" (2008). Ulrich Renz lebt mit seiner Frau Kirsten und seinen Kindern Paul, Mirjam und Anouk in Lübeck.
Die schönen Künste - ein Gegenstand der Wissenschaft? (Priv.-Doz. Dr. Thomas Jacobsen, Leipzig, 22.1.2009)
für die Ukraine