"Selbstbewusstsein und freier Wille" lautet das Thema des Lübecker Studium Generale im Sommersemester 2007. Die Vorträge stehen im Rahmen der Reihe "Was ist der Mensch? Natur - Kultur". Hier genauere Angaben zum Inhalt der einzelnen Vorträge und zur Person der Referenten und Referentinnen.
Das ästhetische Erleben eines schönen Gegenstandes besteht nach Kants Analyse in einer freien Reflexion zwischen Anschauung und Begriff - einer ungezwungenen Gedankenbewegung, die nicht auf den Zweck einer Erkenntnis gerichtet ist. Der Weg ist hier das Ziel, und so könnten wir uns in dieser Reflexion, die wir als lustvoll erleben, unendlich lange halten: Wir genießen auf diese Weise das Gefühl unserer Freiheit, von dem Kant deutlich macht, dass es neben dem Bewusstsein, das unsere Erkenntnis, und dem moralischen Bewusstsein, das unser Handeln begleitet, eine Form des Selbstbewusstseins ist.
Prof. Dr. Birgit Recki ist seit 1997 Hochschullehrerin an der Universität Hamburg, Leiterin der Ernst-Cassirer-Arbeitsstelle (Edition der Werke Cassirers in 25 Bänden). Arbeitsgebiete Ethik, Ästhetik, Kulturphilosophie/Anthropologie. Bücher: Aura und Autonomie. Zur Subjektivität der Kunst bei Walter Benjamin und Theodor W. Adorno, Würzburg 1988 - Ästhetik der Sitten. Die Affinität von ästhetischem Gefühl und praktischer Vernunft bei Kant, Frankfurt am Main 2001 - Kultur als Praxis. Eine Einführung in Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen, Berlin 2004 - Die Vernunft, ihre Natur, ihr Gefühl und der Fortschritt. Aufsätze zu Immanuel Kant, Paderborn 2006.
Freiheit und Selbstbewusstsein - Zur Natur des menschlichen Geistes (21.6.2007)
Der Literaturnobelpreisträger und Ehrendoktor der Lübecker Medizinischen Fakultät Günter Grass liest aus seinem 2006 erschienenen autobiographischen Werk "Beim Häuten der Zwiebel" und aus dem Gedichtband "Dummer August". Die Lesung ist zugleich Eröffnungsveranstaltung des Lübecker Literarischen Colloquiums (LLC) im Sommersemester, das unter dem Thema "Kunst oder Leben: Autobiographisches Schreiben - damals und heute" steht.
Eine Lust, die sich selbst erhält - Kant über Selbstbewusstsein und Freiheit im ästhetischen Erleben (16.5.2007)
Die Autobiographie und das Selbst - Günter Grass liest autobiographische Passagen aus seinem Romanwerk (19.4.2007)
Die Vorstellung, dass der menschliche Wille frei sei, ist seit einiger Zeit Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzungen, die zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auch ein Streit zwischen Geistes- und Naturwissenschaften sind. Von Freiheitskritikern werden neuere neurowissenschaftliche Forschungsergebnisse als Nachweis dafür gedeutet, dass es keine Willensfreiheit gebe und Selbstbewusstsein nichts anderes als eine Illusion sei. Der Streit ist für das Verständnis menschlicher Freiheit überaus fruchtbar. Zwar ist naiven Freiheitsvorstellungen die Grundlage entzogen worden, gleichwohl widerlegen neurowissenschaftliche Forschungen - anders als so mancher Feuilletonbeitrag nahe legen will - keineswegs die Annahme, dass der menschliche Wille frei sei. Es ist insbesondere das Phänomen des Selbstbewusstseins, das Aufschluss über die Natur des menschlichen Geistes gibt und den Weg für ein Freiheitsverständnis öffnet, zu dem Geistes- und Naturwissenschaften gleichermaßen wichtige Beiträge liefern können.
Prof. Dr. phil. Dieter Sturma hat seit 1997 den Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Essen. Geb. 1953, Studium der Philosophie, Linguistik, Literaturwissenschaft und Geschichte in Hannover und Göttingen, 1984 Promotion, 1995 Habilitation. Gastprofessuren in den USA. Ab Sommer 2007 ist Prof. Sturma an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn tätig.
Vom freien Willen zur Selbstdetermination: Willentliches Handeln aus der Sicht der experimentellen Psychologie und Neurowissenschaft (12.7.2007)
Wir haben die meiste Zeit (sofern wir keinen äußeren Zwängen unterliegen) den Eindruck, in unseren Handlungen frei zu sein und bewusst darüber zu entscheiden, was wir tun. Die damit verbundene Annahme der Willensfreiheit spielt eine wichtige Rolle in vielen gesellschaftlichen Zusammenhängen, etwa bei der strafrechtlichen Zuschreibung von Schuld und Verantwortung. Auf der anderen Seite wird die Idee des freien Willens durch Ergebnisse der Psychologie und Neurowissenschaft in Frage gestellt, die zu zeigen scheinen, dass Handlungen, die wir als frei erleben, in Wirklichkeit auf kausal determinierten und oftmals unbewusst ablaufenden Gehirnprozessen beruhen. Aus solchen Befunden wird nicht selten der Schluss gezogen, Willensfreiheit sei nur eine Illusion. Im Vortrag sollen Ergebnisse zu den neurokognitiven Grundlagen der willentlichen Handlungssteuerung und zur Bedeutung unbewusster Prozesse dargestellt werden. Darauf aufbauend wird erörtert, welche Schlüsse aus diesen Ergebnissen für die Annahme der Willensfreiheit zu ziehen sind und ob sich ein Konzept "bedingter Freiheit" im Sinne von Selbstdetermination begründen lässt, das vereinbar mit einem naturwissenschaftlichen Weltbild ist.
Prof. Dr. Thomas Goschke ist seit 2003 Direktor des Instituts für Allgemeine Psychologie, Biopsychologie und Methoden der Psychologie an der TU Dresden. 1987 Diplom in Psychologie, 1992 Promotion zum Dr. phil. ("summa cum laude"), 1999 Habilitation für das Fach Psychologie am Fachbereich Psychologie der Universität Osnabrück. 2000 - 2002 Gastwissenschaftler/Senior Scientist am Max-Planck-Institut für Psychologische Forschung in München (Abteilung Kognition & Handlung).
für die Ukraine