Montag, 27.10.2014

Veranstaltungen

Theater der infamen Menschen

Eine Hilfsinszenierung für Normfixierte und Kontrollbesessene im Theater Combinale

Personen mit Bewegungsstörungen waren im Verlauf der Geschichte immer wieder Gegenstand unterschiedlichster gesellschaftlicher Projektionen: einige wenige wurden als Schamanen oder Priester verehrt, doch mehrheitlich waren Sie Objekt von Spott, Ausgrenzung, Anfeindung oder infamer Unterstellung.

Das Theater Combinale in Lübeck zeigt ab dem 4. November 2014 die Inszenierung Das Theater der infamen Menschen der 2012 in Hamburg gegründeten Agentur für Überschüsse. Das neurologisch-performative Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, Bewegungsstörungen unter performativ-theatralen Aspekten zu bearbeiten. Die Inszenierung setzt von Arlette Fargue gesammelte und von Michel Foucault kommentierte Einweisungsbitten von Pariser Bürgern des 18. Jahrhunderts ins Verhältnis zum heutigen medizinischen und psychosozialen Umgang mit Bewegungsstörungen. Und sie wirft die Frage auf: sind wir heute tatsächlich so viel toleranter und aufgeklärter als die Bürger des vorrevolutionären Paris?

Die Schauspielerinnen Sigrid Dettlof und Mignon Remé und der Neurologe Alexander Münchau lassen dabei Angehörige von Betroffenen zu Wort kommen. Sie zeigen, in welch schwieriger Dynamik sich betroffene Familien oft befinden und wie sehr Sozialneid, Angst vor dem Anderssein, Missverständnisse und Fehlinterpretationen von Verhaltensweisen den Betroffenen und ihren Angehörigen das Leben schwermachen. Sie beleuchtet aber auch im Arzt-Patientengespräch die normierten Diagnosen von Ärzten, die kommunikativen Missverständnisse sowie die systemischen Schwächen des medizinischen Versorgungssystems im Umgang mit Bewegungsstörungen - nicht alles was zuckt, ist Tourette.

Im Spannungsfeld zu diesen Reden kommentiert der Touretter Daniel Weber das szenische Geschehen mit Tic-durchsetzte Foucault-Zitaten und die Pianistin Ninon Gloger führt mit der Sängerin Frauke Aulbert sich  zunehmend ticciger gestaltende Lieder auf. Der Tic, der im Alltag eher irritiert, wird so zum bewusst gesetzten Spannungspol einer „Menschlichen Komödie“ der etwas anderen Art.