„(UN)WISSEN.SCHA(F)FT.RASSISMUS“ ist eine öffentliche Vorlesungsreihe des Studium Generale
Die Ringvorlesung wird von der Universität zu Lübeck, der Musikhochschule Lübeck, der Technischen Hochschule und der Hansestadt Lübeck innerhalb von Lübeck hoch 3 als Kooperationsprojekt realisiert. Sie findet im Wintersemester 2024/25 ab dem 23. Oktober 2024, jeweils ab 20 Uhr, im ÜBERGANGSHAUS (ehemals Karstadt) in der Königstraße 54-56 statt. Die insgesamt acht Vorträge werden aufgezeichnet und im Nachgang online zur Verfügung gestellt.
Gemeinsam dagegen eintreten
Im Alltag, in zwischenmenschlichen Interaktionen, bei Behörden, in Schulen: Rassismus ist in Deutschland weit verbreitet. Tief verankert in Institutionen und Strukturen betrifft Rassismus alle Bereiche der Gesellschaft. In den letzten Jahren haben zivilgesellschaftliche Proteste die Debatten zu Rassismus in den Fokus gerückt. Zwar erfahren nicht alle Menschen Rassismus, doch dagegen eintreten, können wir nur gemeinsam.
An Hochschulen ist Rassismus bisher unzureichend thematisiert. Was über Rassismus in den Wissenschaften, seine historischen Hintergründe und gesellschaftliche Kontexte gesagt werden kann, ist Gegenstand des diesjährigen Studium Generale der Universität zu Lübeck. Eingeladen sind renommierte Expert:innen, die zu Themen wie Medizin, Informatik, das Wissenschaftssystem, Erinnerungskultur, psychische Erkrankungen und Demokratiegefährdung sprechen und mit den Zuhörenden ins Gespräch kommen.
Die Vorlesungsreihe wird zusammen mit der Technischen Hochschule Lübeck, der Musikhochschule Lübeck und der Hansestadt Lübeck durchgeführt. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Termine
// Aktueller Hinweis: Da Prof. Dr. Lorenz Narku Laing bei der Auftaktveranstaltung krankheitsbedingt verhindert war, wurde der Vortrag von Prof. Dr. Vassilis Tsianos eine Woche vorgezogen und fand am 23.10.2024 statt. Unten ist das aktualisierte Programm zu finden.
23. Oktober 2024, 20 Uhr
Prof. Dr. Vassilis Tsianos (Kiel):
„Bildung für wen? Hochschulen und Diskriminierung“
Vassilis Tsianos ist Professor für Soziologie an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Kiel. Von 2010 bis 2013 war er Projektkoordinator des Forschungsschwerpunkts "Border crossings" im EU-Projekt "MIG@NET transnational digital networks, migration and gender" der Universität Hamburg. Von 2002-2005 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im transdisziplinären Forschungsprojekt TRANSIT MIGRATION des Instituts für Europäische Ethnologie und Kulturanthropologie der Universität Frankfurt am Main tätig. Vassilis Tsianos Forschungsinteressen umfassen Rassismusanalyse, Autonomie der Migration, Soziologie der postmigrantischen Gesellschaft, europäische Grenzregime und biometrische Grenzkontrollen.
06. November 2024, 20 Uhr
Daniela Konrädi (Breklum):
„Kirche... Ohne mich!? - Warum auch Kirche ein Rassismusproblem hat“
Weiße Christen meinen sehr oft, dass sie schon auf Grund ihrer Glaubensüberzeugungen und ihrer Zugehörigkeit zu einer der christlichen Kirchen grundsätzlich antirassistisch eingestellt und gebildet wären. Sie würden so gut wie nie von sich selbst sagen, dass sie rassistische Ressentiments internalisiert haben und dementsprechend auch rassistisch denken und handeln. Dabei vernachlässigen sie jedoch, dass sowohl in der Geschichte der Theologie als auch in der Geschichte der Kirche selbst ein hierarchisches Menschenbild weitergegeben und gelebt wurde, an dessen Spitze und machtvollen Positionen weiße Menschen (zuallermeist Männer) standen. Demzufolge galt und gilt eben noch immer: Wer weiß ist, kann leiten und anführen. Wer nicht weiß ist, muss sich ein- bzw. unterordnen. Das dahinter sichtbar werdende Bild grundsätzlicher Abwertung von BPoC durchdringt, trotz unzähliger gegenteiliger Verlautbarungen, auch und immer noch die kirchlichen Strukturen und damit auch die Menschen in unserer Kirche.
Daniela Konrädi leitet seit dem 1. April 2023 das Referat für ökumenische Bildungsarbeit mit Schwerpunkt Rassismuskritik im Ökumenewerk der Nordkirche. Zuvor war sie Pastorin in Hamburg-Bergedorf und engagierte sich bereits dort für eine rassismuskritische Kirche. Sie gründete ein Netzwerk für People of Color (PoC) innerhalb der Nordkirche und arbeitete auf EKD-Ebene an einem Perspektivwechsel in den Kirchen.
20. November 2024, 20 Uhr
Prof. Dr. Laura Schelenz (Tübingen):
„Von algorithmischer Diskriminierung hin zu diversitätssensibler KI – wie geht das?“
KI-gestützte Computersysteme werden zunehmend hinsichtlich ihres Diskriminierungs-Potenzials kritisch untersucht. Dabei zeigt sich, dass KI zur Reproduktion von gesellschaftlichen Ungleichheiten beiträgt. Daher wird vermehrt Diversität in der Technikentwicklung und im Design von KI-Systemen gefordert. Aber was genau ist unter "diversitätssensibler KI" zu verstehen und ist sie tatsächlich diskriminierungsarm? Der Vortrag beleuchtet Diskriminierung und Diversität in und durch Technik aus ethischer und feministischer Perspektive.
Laura Schelenz forscht zu ethischen und feministischen Perspektiven auf Technikentwicklung und digitale Transformation. In vergangenen Forschungsprojekten arbeitete sie zu europäischer Technikentwicklung, diversitätssensiblem Design, sozialen Plattformen, Digitalisierung in Afrika, Partizipation in der digitalen Gesellschaft und Technikdesign mit geflüchteten Menschen und Migrant:innen. Sie wurde 2023 in die Liste der „100 Brilliant Women in AI Ethics™“ aufgenommen. Laura Schelenz ist affiliiert mit dem Center for Information, Technology, and Public Life an der Universität North Carolina – Chapel Hill.
04. Dezember 2024, 20 Uhr
Shreyasi Bhattacharya (Köln):
„Rassismuskritische Medizin“
Rassistische Strukturen finden sich in der Forschung, in der Lehre und auch in der Praxis. Mehrere Studien beweisen, dass rassistische Diskriminierung eine negative Auswirkung sowohl auf physische als auch auf psychische Gesundheit hat. In ihrem Vortrag geht Shreyasi Bhattacharya genau deshalb darauf ein, warum rassismuskritische Ansätze aktiv in das Gesundheitswesen integriert werden müssen. So besprechen wir die bestehenden Ungleichheiten in der Medizin, die normalisiert werden, und thematisieren die medizinische Ausbildung. Wo fängt das Bias an? Wie wirkt sich dieses Bias im Gesundheitssystem aus? Wie sieht die aktuelle Datenlage aus? Der Vortrag besteht abwechselnd aus kurzen Vorträgen und interaktiven Diskussionsrunden. Abschließend lernen wir mögliche Lösungsansätze und neue Initiativen kennen, die eine gerechte Behandlung der Patient*innen ermöglichen können.
Shreyasi Bhattacharya ist Ärztin und wissenschaftliche Mitarbeiterin. Als Referentin und Lehrbeauftragte hält sie Vorträge, Seminare und Fortbildungen und setzt sich für Rassismuskritik in der medizinischen Ausbildung ein. 2021 hat sie einen TEDx Talk zum Thema Rassismus in der Medizin gehalten. Ihr Ziel ist es, durch Bildung und Netzwerke Diversitätssensibilität in den universitären Strukturen und in der Gesundheitsversorgung zu erreichen.
15. Januar 2025, 20 Uhr
Max Czollek (Berlin):
„Selbstentlastung, Disziplinierung und Integrationsdenken nach 1989/1990“
Von der Selbstentlastung zum post-erinnerungskulturellen Nationalismus, von der deutschen Selbstkritik zur Erinnerungskultur als Disziplinierungsinstrument in der Integrationsdebatte. Nach acht Jahrzehnten deutscher Aufarbeitung scheint es angebracht, mal wieder darüber nachzudenken, was da eigentlich aufgearbeitet worden ist. Und damit auch danach zu fragen, ob die international viel gepriesene deutsche Erinnerungskultur überhaupt die intendierten Effekte hatte. #niewiederistjetzt oder ist wieder doch schon jetzt?
Max Czollek ist Autor und lebt in Berlin. Mitherausgeber des Magazins Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart und Teil des Instituts Social Justice und Radical Diversity. Seit 2021 künstlerisch-akademischer Kurator des Netzwerkes Coalition for a Pluralistic Public Discourse (CPPD), seit 2023 Podcast "Trauer und Turnschuh" mit Hadija Haruna-Oelker für eine plurale Erinnerungskultur. Aktuell ist er als Gastkurator Host der Gesprächsreihe "Gegenwartsbewältigung" am Haus der Kulturen der Welt Berlin. Mit Sasha Marianna Salzmann initiierte er den Desintegrationskongress 2016 sowie die Radikalen Jüdischen Kulturtage 2017 am Maxim Gorki Theater Berlin, Studio Я, außerdem die Tage der Jüdisch-Muslimischen Leitkultur 2020. Ideengeber und Ko-Kurator der Ausstellung „Rache – Geschichte und Fantasie“ 2022 im Jüdischen Museum Frankfurt am Main. 2024 DAAD Distinguished Chair in Contemporary Poetics an der New York University, NYU.
29. Januar 2025, 20 Uhr
Gilda Sahebi (Berlin):
„Erzählungen schlagen Fakten – wie rassistische Denkmuster die Demokratie gefährden“
Wir alle sind geprägt von den Erzählungen, an die wir glauben. Es gibt stärkende, wahre Erzählungen und destruktive, falsche Erzählungen, ob beim einzelnen Menschen oder in der ganzen Gesellschaft. Rassistische Erzählungen und Denkmuster stecken besonders tief in der Gesellschaft - und werden allzu oft verneint. Das Problem: Was ich nicht sehe, kann ich nicht verändern. Und so drohen diese Erzählungen eine ganze Demokratie zu zerstören, schleichend, still und leise. Es gibt Wege, dagegen anzugehen. Dazu muss man aber tief nach innen blicken.
Gilda Sahebi ist ausgebildete Ärztin und studierte Politikwissenschaftlerin. Ihr journalistisches Volontariat absolvierte sie beim Bayerischen Rundfunk, als freie Journalistin arbeitet sie mit den Schwerpunkten Antisemitismus und Rassismus, Frauenrechte, Naher Osten und Wissenschaft. Sie ist Autorin für die »taz« und den »Spiegel« und arbeitet unter anderem für die ARD.
12. Februar 2025, 20 Uhr
Prof. Dr. Andreas Heinz (Berlin):
„Rassismus und psychische Erkrankungen“
Die Thematisierung von Rassismus im Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie umfasst zum einen die Geschichte der Krankheits-Theorien, die in einem bis heute wesentlich gültigen Klassifikationsschema um 1900 zu Zeiten des Kolonialismus geprägt wurden und häufig auf einem Vergleich psychisch erkrankter Personen mit vermeintlichen „primitiven“ Bewohner:innen der Kolonien beruhen. Zum anderen geht es um die Auswirkungen rassistischer Diskriminierung und sozialer Ausschließung auf psychische Gesundheit in unterschiedlichen Lebenssituationen. Beide Themenbereiche werden im Vortrag angesprochen.
Andreas Heinz ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Campus Mitte. Studium der Medizin, Philosophie und Anthropologie an der Freien Universität Berlin, Ruhr-Universität Bochum und Howard University, Washington DC. Er ist Neurologe, Psychiater, Psychotherapeut und Sozialmediziner. Seine medizinische Doktorarbeit verfasste er 1988 an der Ruhr-Universität Bochum, Habilitation im Psychiatrie 1998 an der Freien Universität Berlin. Philosophische Dissertation 2013 und Habilitation 2022 an der Universität Potsdam. Forschungschwerpunkte liegen im Bereich der psychotischen und Sucht-Erkrankungen und der interkulturellen Psychatrie und Psychotherapie.
26. Februar 2025, 20 Uhr
Prof. Dr. Natasha A. Kelly (Berlin):
“Black Studies – Kunst, Kultur und antirassistische Wissenschaft“
Theorien, Konzepte und Methoden der Black Studies, wie Diversity, Intersectionality oder Critical Race Theory, haben bereits Einzug in deutsche Universitäten gehalten, dennoch steht die Institutionalisierung dieses akademischen Feldes noch aus. In ihrem Vortrag wird Prof. Dr. Natasha A. Kelly einen tiefen Einblick in die Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Black Studies geben und aufzeigen, inwieweit sie als antirassistische Disziplin verhandelt werden kann. Von der Analyse der afrikanischen
Diaspora bis zur Untersuchung von strukturellem und institutionellem Rassismus – dieser Vortrag bietet eine umfassende Einführung in ein wichtiges und dynamisches Feld der Wissensproduktion, die sich nicht nur auf die Wissenschaft beschränkt, sondern auch im Bereich der Kunst und Kultur Anklang findet.
Natasha A. Kelly ist seit dem Wintersemester 2023 Gastprofessorin für Kulturwissenschaften im Studium Generale der Universität der Künste Berlin. Sie ist Kommunikationswissenschaftlerin und Soziologin, Autorin und Herausgeberin, Kuratorin und multimediale Künstlerin mit den Themenschwerpunkten Schwarze deutsche Geschichte, Schwarzer Feminismus und Afrofuturismus.
für die Ukraine