Dank europaweiter Kooperation zu seltenen Erkrankungen
Mehr als 500 europäische Patientinnen und Patienten mit unbekannten Krankheiten haben durch neue genetische Forschung eine Diagnose erhalten. Dazu gehören seltene neurologische Erkrankungen, schwere geistige Erkrankungen, Muskelkrankheiten und erblicher Magen-Darm-Krebs.
Die Diagnosen wurden in umfassender europäischer Zusammenarbeit unter der Leitung von Forschenden des Universitätsklinikums Tübingen, des Radboud University Medical Centers in Nijmegen, des Nationalen Zentrums für Genomanalyse in Barcelona sowie der Universität zu Lübeck gestellt.
Prof. Katja Lohmann, Prof. Alexander Münchau, Dr. Rebecca Herzog und Dr. Martje G. Pauly von den Instituten für Neurogenetik sowie für Systemische Motorikforschung von der Universität zu Lübeck sind unter anderem beteiligt.
Klarheit für Betroffene
Mindestens 70 Prozent der seltenen Erkrankungen haben eine genetische Ursache. Da diese Krankheiten allerdings so selten sind, ist es schwierig, die genaue Ursache in der DNA zu finden, selbst wenn mehrere Mitglieder einer Familie erkrankt sind. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es in einem europäischen Forschungsprojekt nun gelungen, bei 506 Patientinnen und Patienten sowie deren Familien die genetisch bedingte seltene Krankheit zu diagnostizieren.
Bei 15 Prozent der Patientinnen und Patienten ergeben sich dadurch konkrete Versorgungs- und Therapiemöglichkeiten. In anderen Fällen schaffen die Diagnosen Klarheit für die Betroffenen und ihre Familien.
Ergebnisse veröffentlicht
Insgesamt analysierten die Forscherinnen und Forscher die Genomdaten von 6.447 Patientinnen und Patienten sowie von 3.197 nicht betroffenen Familienmitgliedern. Die Ergebnisse des Projektes wurden jetzt im Fachmagazin Nature Medicine veröffentlicht.
Ermöglicht wurden diese Diagnosen durch Solve-RD, eine große europäische Kooperation, an der 300 Expertinnen und Experten aus zwölf europäischen Ländern sowie aus Kanada beteiligt sind. Unter der Leitung von Forschenden des Universitätsklinikums Tübingen, des Universitätsklinikums Radboud in Nijmegen und des Nationalen Zentrums für Genomanalyse (CNAG) in Barcelona haben die Expertinnen und Experten eine gründliche Reanalyse der genetischen Daten der Patienten durchgeführt.
Hierfür wurden genetische Informationen, die bereits zuvor gesammelt und analysiert worden waren, mit neuen wissenschaftlichen Methoden erneut untersucht. Auch das Universitätsklinikum Bonn und das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein waren an der Kooperation beteiligt.
Dank Solve-RD spielt es keine Rolle mehr, in welchem der zwölf Ländern ein Patient oder eine Patientin mit einer seltenen Krankheit behandelt wird. Denn das Diagnoseverfahren ist nun überall gleich. „Solve-RD ist ein wichtiger Schritt für die diagnostische Erforschung seltener Krankheiten in Europa“, erklärt Dr. Holm Graeßner, Geschäftsführer des Zentrums für Seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum Tübingen und Koordinator von Solve-RD. Doch der Weg dorthin war nicht einfach.
Zunächst mussten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf eine Analysemethode für jede Krankheit einigen, beispielsweise welche Gene und Variantenarten untersucht werden sollen. Auch logistische Herausforderungen und nationale Gesetze und Vorschriften spielen hierbei eine große Rolle.
Diagnose soll beschleunigt werden
„Die Reanalyse in Solve-RD war auch deshalb so erfolgreich, weil Expertinnen und Experten aus Klinik, Genetik, Bioinformatik und Datenwissenschaft aus ganz Europa eng zusammengearbeitet haben“, erklärt Prof. Stephan Ossowski, Professor für Genominformatik am Universitätsklinikum Tübingen. Auch nach dem Projektende von Solve-RD wird dieser Ansatz fortgeführt: In der European Rare Disease Research Alliance (ERDERA) sind mehr als 180 Organisationen beteiligt, darunter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Solve-RD.
Ein Ziel ist, die Diagnose von Patientinnen und Patienten mit seltenen Krankheiten weiter zu beschleunigen. „Durch die Analyse einer größeren Anzahl von Daten und die Zusammenarbeit mit weiteren medizinischen Zentren in Europa will ERDERA Diagnosen für diejenigen liefern, die bisher noch nicht diagnostiziert wurden – und so die Forschung zu seltenen Krankheiten weiter vorantreiben“, sagt Graeßner, der den diagnostischen Forschungsteil von ERDERA leitet.
Originalpublikation:
Autoren: Steven Laurie, Wouter Steyaert, Elke de Boer, Kiran Polavarapu, Nika Schuermans, Anna K. Sommer, […], Katja Lohmann, Richarda M. de Voer, Ana Töpf, Lisenka E.L.M. Vissers, Sergi Beltran, Alexander Hoischen
Titel: Genomic Reanalysis of a Pan-European Rare Disease Resource Yields New Diagnoses
Link: https://www.nature.com/articles/s41591-024-03420-w
DOI: 10.1038/s41591-024-03420-w
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