Deutsch-dänisches Medizinprojekt hilft Menschen mit Augenleiden
Interreg NorDigHealth: 40.000 Patienten im Raum Lübeck von der altersbedingten Makula-Degeneration betroffen
Jeder vierte Deutsche über 60 Jahre leidet unter der altersbedingten Makula-Degeneration AMD. Die Volkskrankheit betrifft statistisch gesehen eine halbe Millionen Menschen, ca. 42.000 sind es in der Region Lübeck. AMD gilt als nicht heilbar, aber ihr Verlauf kann wesentlich beeinflusst werden, wenn die Patienten rechtzeitig reagieren. Ein weltweit einzigartiges, deutsch-dänisches Medizinprojekt mit Ärzten aus Lübeck, Roskilde und Køge setzt deshalb auf die Früherkennung über eine App. Die ersten Tests verliefen vielversprechend.
Die Entwicklung der App für altersbedingte Makula-Degeneration ist Teil des europäischen Interreg-Projekts NorDigHealth, das mit Fördermitteln der Europäischen Union unterstützt wird. Mediziner des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein aus Lübeck testen zurzeit den Prototypen mit ihren Kollegen von der Augenklinik des Universitätskrankenhaus Seeland im dänischen Roskilde.
Die Dänen verfügen über längere Erfahrung in der Entwicklung von digitaler Gesundheitstechnik. Die Deutschen tragen zu einer fundierten Lösung durch ihr anders gelagertes Gesundheitssystem bei. Die deutsche-dänische Zusammenarbeit ermöglicht, die Daten auf Basis einer größeren Testpopulation in unterschiedlichen Umgebungen zu validieren. Der Präzisionsgrad der App erhöht sich dadurch.
Die deutschen und dänischen Mediziner versprechen sich durch die digitale Früherkennung über die AMD-App, dass die Entwicklung der Krankheit genauer verfolgt und die Behandlung besser abgestimmt werden kann. Die App ermöglicht eine viel größere Präzision in der Verlaufsbeobachtung als die häufig verwendete Amsler-Karte, ein quadratisches Gitter auf Papier.
Die Gesundheitskosten von AMD belaufen sich in Deutschland und Dänemark jährlich auf mehrere hundert Millionen Euro. Eine in der Regel sechswöchig stattfindende Behandlung kostet allein 900 Euro.
Dr. Mahdy Ranjbar, Oberarzt und Leiter der deutschen Studie, UKSH/Universität Lübeck erläutert: „Die AMD-APP wird den Patienten mit Augenleiden vor allem drei Vorteile bringen: Sie stärkt den autonomen Umgang mit der Erkrankung. Sie macht es einfacher, die Entwicklung der Krankheit einzuschätzen, damit man zur rechten Zeit behandelt werden kann. Und schließlich bringt diese digitale Früherkennungsmöglichkeit Vorteile für die Patienten, die in ländlichen Räumen sehr lange Wege zum Facharzt haben.“
Sein dänischer Kollege Professor Torben Lykke Sørensen, Oberarzt an der Augenklinik des Universitätskrankenhaus Seeland, ergänzt: „In Dänemark gibt es schon heute viel Erfahrung im Bereich der digitalen Medizin. Diese Expertise wollen wir in unser dänisch-deutsches Projekt einfließen lassen. Für das Universitätskrankenhaus Seeland ist das Projekt sehr wichtig, weil wir mit Patienten in Kontakt stehen, die nicht oder nicht ausreichend häufig unser Krankenhaus besuchen können oder wollen. Unsere App ist im Zusammenspiel mit der medizinischen Betreuung wie ein Sicherheitsgurt. Es verschafft den Patienten Sicherheit im Umgang mit einer unheilbaren Krankheit.“
Die AMD-APP ist in einer ersten Version im Probebetrieb. Sie wird zurzeit von den insgesamt sechs Medizinern im Projektteam an den Universitätskrankenhäusern in Roskilde, Køge und Lübeck an knapp 50 Patienten getestet. Die Patienten werden aufgefordert, in der App mehrere Punkte in eine Reihe zu ziehen. Gelingt dies fehlerfrei, ist das Sehfeld nicht eingeschränkt. Werden die Punkte wie die Außenseiten eines Dreiecks angeordnet, liegt eine Sehbeeinträchtigung AMD vor.
Getestet wird die App zurzeit auch von Dr. Ellen Bialluch, 84. Sie wohnt in Lübeck. Im Frühjahr 2019 wurde bei ihr AMD diagnostiziert. “Die Erkrankung beeinträchtigt mich im Alltag. Ich kann lesen, aber nur mit einem Auge. Ich würde die App gerne mit mir nach Hause bringen. Ich würde mich sicherer fühlen, wenn ich meine Sehfähigkeit täglich mit der App kontrollieren könnte“, sagt Ellen Bialluch.
Die Entwicklung der AMD-App soll bis Frühjahr 2021 abgeschlossen sein. Danach werden bis zum Projektende Ende 2021 die Daten ausgewertet. Das Ziel ist, eine funktionstüchtige, nutzerfreundliche App zu entwickeln und voraussichtlich Ende 2021 allen potentiell betroffenen Menschen der altersbedingte Makuladegeneration zur Verfügung zur stellen.
Hintergrund AMD
Die Altersbedingte Makuladegeneration AMD betrifft die Sehzellen in der Netzhautmitte. Sie vermitteln das scharfe und farbige Sehen und gehen im Alter zugrunde. Im Spätstadium zeigt sich in der Mitte des Gesichtsfeldes nur noch ein dunkler Fleck, lediglich in den Randbereichen ist das Sehen noch erhalten. Dadurch ist zwar eine räumliche Orientierung noch möglich, Gesichter erkennen, Zahlen und Buchstaben entziffern wird jedoch mit der Zeit unmöglich.
Eine Vorbeugung und Heilung der AMD gibt es derzeit nicht. Es gibt zwei Formen: die feuchte und trockene AMD. Rechtzeitig erkannt, lässt sich die feuchte Makuladegeneration durch spezielle Medikamente verlangsamen oder stoppen und der Sehverlust aufhalten. Bei der trockenen Makuladegeneration gibt es derzeit keine Behandlungsmöglichkeit.
Zeit ist der entscheidende Faktor! Früherkennung ist wichtig.
Anteil der Menschen mit AMD in Deutschland (Spätstadien): 0,58 Prozent (also ca. 480.000 Betroffene). Anteil der Menschen mit AMD in Deutschland (Frühstadien): 8,38 Prozent (also ca. 6.938.000 Betroffene). AMD betrifft im Raum Lübeck (HL, OH, LAU) potentiell 37.500 Menschen, d.h. ca. ¼ von insgesamt ca. 150.000 Menschen älter als 65 Jahre im Raum Lübeck
Interreg NorDigHealth – at a glance
Die Entwicklung der AMD-App findet im Rahmen des deutsch-dänischen Gesundheitsprojekts NorDigHealth statt. NorDigHealth wird mit 2,8 Millionen Euro vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung im Rahmen des Programms Interreg Deutschland-Danmark unterstützt. Forscher aus Dänemark und Deutschland arbeiten an neuen Technologien, um die Gesundheit von Bürgern im Raum Lübeck und in der dänischen Region Sjaelland zu verbessern.
Statements der Partner und Beteiligten
Dr. Mahdy Ranjbar, Oberarzt und Leiter der deutschen Studie, UKSH/Universität Lübeck: „Die AMD-APP wird den Patienten mit Augenleiden vor allem drei Vorteile bringen: Sie stärkt den autonomen Umgang mit der Erkrankung. Sie macht es einfacher, die Entwicklung der Krankheit einzuschätzen, damit man zur rechten Zeit behandelt werden kann. Und schließlich bringt diese digitale Früherkennungsmöglichkeit Vorteile für die Patienten, die in ländlichen Räumen sehr lange Weg zum Facharzt haben. Die Corona-Pandemie hat die Bedeutung der digitalen Medizin gestärkt und gerade in diesem Bereich können wir gegenseitig voneinander lernen. Davon profitiert auch unser deutsch-dänisches Projekt zur Früherkennung des Augenleidens AMD. Künftig möchten wir per App den Patienten ein digitales Angebot unterbreiten, das die Genauigkeit der Diagnose und die damit verbundene Behandlung der Augenerkrankung auf ein Niveau bringt, das es so noch nicht gegeben hat.“
Professor Torben Lykke Sørensen, Oberarzt an der Augenklinik des Universitätskrankenhaus Seeland: „Die AMD-App könnte die Behandlung von Patienten mit Augenleiden erheblich verbessern. In Dänemark gibt es schon heute viel Erfahrung im Bereich der digitalen Medizin. Diese Expertise wollen wir in unser dänisch-deutsches Projekt einfließen lassen. Viele ältere Menschen haben bereits einen Teil ihres Sehvermögens verloren, wenn sie zu uns kommen, und riskieren, zwischen den Kontrollen beim Augenarzt noch mehr zu verlieren. Mit der AMD-App, also der Möglichkeit sich selber jederzeit kostenlos einfach und zuhause auf dem Tablet zu testen, könnte sich dies ändern. Für das Seeland Universitätskrankenhaus (SUH) ist das Projekt sehr wichtig, weil es uns ermöglicht, Patienten mit einer chronischen Augenkrankheit zu helfen, für die man sonst nicht viel hätte tun können. Mit der App sollte es möglich werden, dem Verlauf der Krankheit besser zu folgen, damit man die Patienten bestmöglich behandeln kann. Unsere App ist im Zusammenspiel mit der medizinischen Betreuung wie ein Sicherheitsnetz unter den Patienten, damit die Krankheit sich nicht verschlimmert, ohne dass sie und ihre Ärzte sich dessen bewusst sind.“
Stefan Leyk, Vorsitzender des Interreg-Aussschusses, Kreispräsident in Plön: „Es freut mich sehr, dass Wissenschaftler aus unserer Region an der AMD-Forschung teilnehmen, und dass die EU-Gelder in Forschung und Projekte einfließen, die eine große Bedeutung für alle Bürger haben, egal ob in Lübeck oder auf Lolland. Dieses Projekt biete eine große Perspektive, die innovative Forschung anzieht in unserer gemeinsamen deutsch-dänischen Region. Ich wünsche den Forschern dieses Projekts gutes Gelingen.“
Dr. Ellen Bialluch, 84, Patientin aus Lübeck: Bei Ellen Bialluch wurde im Frühjahr 2019 AMD diagnostiziert. Sie geht alle vier Wochen zur Kontrolle und bekommt bei Bedarf eine Injektion. Die Lübeckerin hat das Sehvermögen auf einem Auge fast verlore. Lesen und Autofahren sind noch möglich. Ellen Bialluch hat die App im UKSH am Standort Lübeck getestet: „Die Erkrankung beeinträchtigt mich im Alltag. Ich kann nur mit einem Auge lesen. Das ist problematisch. Ich bin sehr zufrieden mit der App und würde sie gerne zuhause nutzen. Dann könnte ich mein Sehvermögen täglichen testen. Das würde mir mehr Sicherheit geben“, sagt Ellen Bialluch.
für die Ukraine