230 der damals knapp 300 Immatrikulierten zogen mit Spruchbändern und Transparenten durch die Innenstadt vom Koberg zur Abschlusskundgebung am Brink. „Studium ohne HNO?“ und „Manipuliert die Berufung nicht“, war da zu lesen. „Aus der Neugeburt der Medizinischen Akademie Lübeck wird eine Fehlgeburt werden, wenn nicht spätestens am 1. Januar ein Professor für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde mit den Vorlesungen beginnt“, hieß es in einer Resolution, die die Studierenden auf einer Pressekonferenz vorstellten.
„Wir können uns nicht vorstellen, daß irgend jemand in dieser sonst so aufgeschlossenen Stadt die Verantwortung tragen möchte, die Existenz der MAL aufs Spiel zu setzen“, wandte sich die Studentenschaft mit einem Aufruf an die Lübecker Bürger. Bei Fortdauer des derzeitigen untragbaren Zustandes würden sich die meisten von ihnen gezwungen sehen, die Medizinische Akademie zu verlassen: „Wer zur Gründung der MAL ‚ja‘ gesagt hat, der ist auch verpflichtet, die Konsequenzen dieser Neugründung zu ziehen!“
Der erste Lübecker Studentenprotest war in einer Vollversammlung beschlossen worden, nachdem die Bürgerschaft der Hansestadt am 15. Dezember keine Entscheidung über die Berufung eines Lehrstuhlinhabers für die HNO getroffen hatte. „Staatsexamen in Lübeck in Gefahr“ überschrieben die Kieler Nachrichten ihren Artikel zur Vertagung dieses wichtigen Punktes. Kultusminister Claus Joachim von Heydebreck schaltete sich ein und drängte ebenfalls auf eine schnelle Besetzung des Ordinariats.
In wenigen Wochen, im Februar 1967, sollten für die ersten Lübecker Studentinnen und Studenten die Examina beginnen. Um überhaupt die erforderlichen Lehrveranstaltungen in der Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde belegen zu können, hatten sie bereits im laufenden Jahr zeitweise täglich nach Kiel in die dortige HNO-Klinik fahren müssen. Der dortige Professor sei aber mit den Kieler Studenten voll beschäftigt, so dass man diese Ausbildungsmöglichkeit in der Zwischenzeit wieder habe einstellen müssen, teilte das Kultusministerium mit.
Für die Besetzung des HNO-Lehrstuhls war von der Lübecker Medizinischen Fakultät Prof. Dr. Kurt Jatho aus Köln vorgesehen. Er war bereit, den Ruf anzunehmen, und hielt sogar kurz vor Weihnachten in Lübeck bereits eine erste Vorlesung. In der Lübecker Bürgerschaft sah man allerdings auch eine Fürsorgepflicht der Hansestadt gegenüber dem im Amt befindlichen Chefarzt der Lübecker HNO-Klinik. Dieser hatte ein Rechtsverfahren um den Erhalt der Klinikleitung angestrengt, dessen zu erwartende Dauer auf mehrere Jahre eingeschätzt wurde.
Das Kultusministerium war nicht bereit, über einen solchen Zeitraum das Provisorium einer Lehrbeauftragung für die HNO fortzuführen. In einem eingehenden Gespräch in Kiel am 23. Dezember einigte man sich mit Vertretern der Hansestadt und der Medizinischen Akademie darauf, dass für den neuen Lehrstuhlinhaber in einem der demnächst freiwerdenden Gebäude zunächst, neben der städtischen, eine eigene „Akademie-HNO-Klinik“ mit 30 Betten eingerichtet werden konnte.
Diese Lösung machte den Weg frei. In einer Sondersitzung am 9. Januar stimmte die Bürgerschaft der Berufung von Prof. Jatho und seiner Bestallung als Klinikdirektor nun zu. Bereits am 11. Januar begann er regulär mit seinen Vorlesungen. Mit der Überreichung der Berufungsurkunde aus der Hand des Rektors der Universität Kiel, Prof. Dr. Karl Dietrich Erdmann, waren die Forderungen, für die die Lübecker Studentinnen und Studenten erstmals auf die Straße gegangen waren, erfüllt. Nun konnten sie ihr Examen in Angriff nehmen.
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